Christians

Ein in Solinger klangvoller Name mit noch heute nachwirkendem Klang: in den "Christians-Villen" am Schlagbaum ist nun ein in der Promotionindustrie erfolgreiches Unternehmen etabliert. Aber wie so viele in der Blütezeit der Solinger Industrie war die Firma eine Mischung aus Fabrikation und Vertrieb, im marketing-englisch von heute heißt das "direct channel", Direktvertrieb; mit den üblichen eigenen Handelsvertretern, die bereits das versenden, was später "Mailings" genannt werden würde.

 

Mit einer solchen Karte kündigte sich der Vertreter-Besuch beim geschätzten Kunden an. Der Anspruch, das solle nun aber auch Genüge sein, damit der Kunde gefälligst einen Auftrag zu erteilen habe, spricht von einem urgesunden Selbstvertrauen.

 

Poststempel 27. März 1930

 

Die Vorderseite der Christianschen Besuchsanzeige-Karte ist eine Sensation: erstens schmückt sich das Solinger Unternehmen mit Wuppertaler Federn und zweitens: so gelogen wie gedruckt hat ja wohl noch nie einer. Dennoch wir wohl jeder Betrachter der künstlerischen Freiheit des Motivs - halb wahr, halb Phantasie - lächelnde und bewundernde Sympathie entgegenbringen. Vor allem die Idee mit dem Wupperschiff - und dann in dieser hemmungslos falschen Dimension - ist ja  infantile Wunschwelt pur.

 

Ein anderes Motiv, abgewandelt von einer beliebten Postkarte.

 

An wohlfeiler Werbung hatten die Christians offensichtlich Spaß. Der Slogan
"Mit der Scheer von Christians,
Du am Besten schneiden kannst"
klingt doch irgendwie überzeugend. Zumal, wenn es sogar einhändig geht. So gingen die Kataloge in die Welt.

 

Ein an und für sich kleines, aber bedeutendes Unternehmen, dass wie viele dutzend andere auch in Solingen fester Bestandteil der florierenden Besteck- und Klingenindustrie war.

26. Juni 1918


 

Wie zu seiner Zeit üblich wurden selbst einfache Fabrikgebäude auf den Briefbogen und Rechnungen zu Industriegiganten stilisiert. Die Christiansvillen, noch heute existent, mögen als Maßstab dienen, dass ein solches Werk niemals existiert haben kann.

 

Doch dem Betrachter eröffenen sich köstliche Details: Durchaus wahrheitsgemäß, wenn auch perspektivisch völlig falsch, ist der Zug hinter dem Gebäude, denn in der Tat verläuft direkt hinter dem Gelände die Trasse der Korkenzieherbahn und befindet sich der ehemalige Bahnhof Solingen-Nord Personenzüge mit 8 Wagen sind dort jedoch niemals gefahren ... ;.)

 

 

Und was heute den Protestschrei aller Umweltschützer hervorrufen würde, war seinerzeit eine Großtat: Industrie-Dampf in die Luft zu pusten.

  

 

Das Comptoir am Lagerhaus - wie sich doch die Sprach-Zeiten ändern. Heute hieße es: das Office am Warehouse - und wie es der Witz der Treppengeschichte will, sind die verbliebenen Christiansvillen - nun, Sie raten es nie! - ein Comptoir und ein Lagerhaus.

  

 

Die Straße vor dem Werk: die gute, alte Lektrische mit Hänger (korrekt), die Droschken und Pferdefuhrwerke (korrekt) und Fußgänger (korrekt). Also dank an den Künstler (oder ausführende Firma?) L. Grünewald in Elberfeld.

     

 

Offensichtlich wurden Rechnungen in Kronen und Heller ausgestellt, nicht in Mark und Pfennig. Warum, klärt sich am Brieffuß, denn da werden Auslandskonten angegeben - und das vereinigte Königreich Österreich-Ungarn hatte vor dem 1. Weltkrieg diese Währung. Und deshalb können sich Die Obigen auch bestens empfohlen halten und achtungsvoll zeichnen, nicht nur bei fernerem Bedarf.

 

Die Konten verdeutscht und an Geld gespart: Neudruck eines Rechnungsformulars wäre ja viel zu teuer gewesen und selbst am Korrekturstempel wird noch gespart, indem man die Standard-Version bevorzugt.

 

Ach ja: der Vorsichtige rechnet nach. Man weiß ja nie!

 

 

Insertion 1910