Eiferer

Ohne jede Frage ist der Solinger - wie insgesamt der Bergische - ein Eiferer und Dickkopf. Grundsätzlich hat er recht, was einschließt, dass andere immer alles falsch machen. Nur er - und natürlich sie - nicht. Weil die Solinger alles besser wissen als andere, schließen sie sich vorzugsweise zu Vereinen - früher auch Kirchen - zusammen, um sich gegenseitig vorzuhalten, was alles schlecht wäre und wie man es besser machen könnte. Dabei bleibt es dann, so dass die nächste Generation wieder die Chance hat, Eiferer zu werden. Und wenn sie nicht gestorben sind ...

 

Die
durch das Evangelium von Christo
geoffenbarte Gerechtigkeit die
vor Gott gilt;

 

 

verkündigt
in

Sonn= und Festtags=
Predigten

 

 

von
J. G. W. Forstmann,
evangel. luth. Prediger in Solingen, Herzogthum Berg,

herausgegeben
im Jahre 1757

 

Von einigen christlichen Freunden aufs Neue zum
Druck befördert im Jahre 1840.

 

Zur Erinnerung: Der dreißigjährige Krieg, 1618-48, war letztendlich der Krieg evangelischer gegen katholische deutsche Länder um Macht und Ansprüche. Auch Solingen wurde von diesen Auseinandersetzungen nicht verschont und schwenkte in großen Teilen der Bevölkerung seit der Reformation durch den Wittenberger Mönch Martin Luther zu dessen und seiner Gleichgesinnten evangelischen Religion über. Diese hatte zur damaligen Zeit oft wesentlich puritanischere und strengere Bräuche und Vorschriften als der von Luther so aneprangerte Bequemlichkeits-Katholizismus. Die evangelische Kirche ist bis heute in verschiedene Richtungen gespalten, zumindes die Reformierten und die Lutheraner sind noch als freundlich-feindliche Brüde auszumachen - nebst einiger von außen vielleicht sogar sektierisch anmutender evangelischer Glaubenskirchen. Nicht zu vergessen, dass Wuppertal über Jahrhunderte als Hort und Ort mit den meisten Sekten und Kirchenströmungen galt, ein pietätisches Gebiet, das zweifelsohne auch seinerzeit Solingen (und Remscheid) mit umfasste.

Ein Allmachts- und Seligkeits-Anspruch, wie man ihn heute von sogenannten Fundamentalisten erwartet und erlebt. In den Jahren des 17. bis 19. Jahrhunderts waren solche Behauptungen der einzig wahren Richtigkeit im gesamten Christentum üblich. Diese zum Teil mit einer gefährlichen Mischung aus Eifer, Fanatismus und Scheuklappen gelebte Überzeugung nahmen zum Beispiel auch viele europäische Auswanderer in die USA mit. Dort wurden ganze Staaten (Utah) und große Landstriche durch solche Religionsgemeinschaften be- und gegründet, besiedelt, dominiert. Das Aufeinanderprallen oft von der Alleinseligmachung ausgehender religiöser Überzeugungen nimmt konkret Einfluss auf die aktuelle Weltpolitik.

 

Ein Prediger ist kein Pfarrer. Diesen Unterschied muss man bei solchen Texten immer im Auge haben. Predigen kann jeder - das offizielle Kirchenamt des Pfarrers umfasst zwar immer auch die Pflicht und Aufgabe zu predigen, doch nicht umgekehrt steht es dem Prediger zu, kirchliche und sakrale Handlungen durchzuführen. Das erklärt, warum es der Prediger so viele geben kann, während Pfarrer oft durch die Last ihrer Pflicht innerhalb der Kirchengemeinde von allzu intensiver Beschäftigung mit dem Schleifen scharfer Worte abgehalten werden.

Ach ja: die Religionskriege und damit zusammenhängenden Auseinandersetzungen ließen vor allem die Schwertschleifer reich und mächtig werden. Denn "willst Du nicht mein Bruder sein, dann .... " Eben: Ein Solinger Schwert half immer.

 

Solch einen Text muss man sich - heute - mit Bedacht "reinziehen". Wenn man "zwischen den Zeilen" liest, wird man durchaus noch den typischen Solinger Weltverbesserer, Nörgler und Stänkerer von heute heraushören können. Auch für ihn sind die anderen immer blöd, die Welt bescheuert und das, was sich gerade entwickelt, eine Katastrophe, die nur einer, er oder sie, hätten verhindern können, wenn man sie denn gelassen hätte. Hat man aber nicht. Da ist es in der Religion nicht anders wie im richtigen Leben: wer droht, kann Lösungen aufzeigen, wer schlechtredet, kann Gutes tun, wer den Teufel beschwört, beweist, dass er göttlich-gut sein muss.

 

 

 

 

 

 

 

 

Lag dem Buche bei und zeugt von späterem Gebrauch:
 "Abziehbild" mit Anemonen