Höhscheid

Ein Stadtteil, der sich eigentlich immer "bedeckt" hielt und hält. Wahrscheinlich sind die Höhscheider aber die dicksten Solinger Dickköpfe und selbstbewusstesten Eigenbrötler mit - Gegensätze sind in Solingen Methode - weltoffener Geschäftig- und Umtriebigkeit. Abraham Henkels, Gründer der Zwillingswerke ist Höhscheider (Platzhof), Walter Scheel (ehemaliger BRD-Bundespräsident) ist Höhscheider - und ich.

 

1963 war Höhscheid noch schön, so wie es auch heut noch schön ist. Beschaulich, ruhig, übersichtlich, großräumig. Dass dabei Zentren und Läden fehlen, darüber motzt und meckert natürlich die Bevölkerung aber wehe, wehe es würde auch nur etwas gebaut, was ein einziges Auto mehr in den Stadtteil brächte oder jemand müsse einen halben Meter Wiesenstreifen hergeben - ach nee nich, was wär da los.

 

Echte Siebensternfotokarte im Verlag Paul Sprenger

Poststempel 15. Juni 1963

Einigermaßen deutlich kann man noch "Bleyle" lesen. Ich erinnere mich mit Grausen, wie ich Ende der 50er Jahre solche Bleyle-Hosen und -Jacken übergestülpt bekam. sie verliehen einem das Aussehen einer schlecht verpackten Wurst, waren aber waschecht und bügelfrei, was zur damaligen Zeit überhaupt das größte und wichtigste war. Und Parkplatzsorgen, das sei angemerkt, hatte keiner wirklich so richtig - allenfalls fuhr man sich auf der Neuenhofer Straße noch die Reifen in den Schlaglöchern platt.

 

Meine Heimat, mein Spielplatz, mein "Abenteuer-Gelände" im Weegerhof. Wenn ich's im Rückblick sehe, bin ich bass erstaunt über die kindliche Phantasie oder die Genügsamkeit, mit der wir damals auf diesen Spielplatz gingen: Wasser im Planschbecken, Sand im Sandkasten und eine schon damals hundescheiße-garnierte Wiese zum Fußballspielen, das war eine herrliche, wunderbar genügende Welt für eine fröhliche und unbeschwerte Jugend mit täglichem Herumtollen und manchen echten Abenteuern: wir "litschten" durch den gewölbten, stinkenden Abwassertunnel, der sich längs unter der Anlage herzieht (kanalisierter Weinsbergtaler Bach) oder "büxten aus": mit dem Fahrrad durchs Weinsberg bis zur Haasenmühle - und zurück, ohne Muttern davon etwas zu erzählen.

 

Nicht viel anders sieht's heute noch aus an der Einmündung der Platzhofstraße. Ok, die Straße ist geteert worden.

 

1963, die Neuenkampfer Straße

Verlag Carl Sprenger

 

Aus der Gegenrichtung und am unteren Ende, gegenüber dem Sportplatz. In den SBV-Häusern links wohnte Solingens seinerzeitiger OB Heinz Dunkel.

 

Mit Fug und Recht hat die Absenderin vermerkt, dass es sich hier um den bedeutendsten Part von Höhscheid handelt, nämlich Widdert und Fürkelt. Ob nun Fürkelt, zwischen zwei Höhenrücken, als Vermittler zwischen diesen beiden Mikro-Welten gilt oder ein eigenes Universum bildet, lässt sich leicht beantworten: natürlich hat in Solingen keine Ortschaft etwas mit der in der Ferne, sprich 500 Meter weiter, auch nur das Geringste zu tun. Die Widderter Kirche ist übrigens eine, die ihren Kirchturm so spitz "auf Bergeshöh'" markant in den Himmel piekst, dass man sich beim Wandern leicht und oft daran orientieren kann.

 

Auch ein Stück Höhscheid: die Ölmühle am Nacker Bach, ganz dicht bei Haasenmühle / Wipperaue. Eine gar abenteuerliche Konstruktion, die der detaillierten Betrachung wert ist. Die schöne Ölmüllerin schmiegt sich modebewusst an die morsche Brüstung und steht auf wettergegerbten Planen, das Wehr wird durch morsche Planken gehalten und reguliert, eine garantiert nicht den Arbeitssicherheits-Vorschriften entsprechende Holztreppe führt in den Orkus des Wasserrad-Topfes und durch ein Gestänge, dass aus der Hauswand schiebt, kann man von innen die Wasserzufuhr aufs Rad regulieren. Das zur Zeit offensichtlich nicht fürs Rad gebrachte Wasser schießt kaskadierend in daher, so dass es alle einst sicher gut gefugten Steine gelockert hat und man meint, beim nächsten Hochwasser oder Eisgang könne das Ganze brechen. Das Foto stammt vermutlich aus den End-30er Jahren, die Karte ist 1944 als Feldpost versendet worden.

Atelier Röder, W.-Barmen

 

 

«Gasthof "Zur Wanderers Ruh", Höhscheid-Brücke; Post Aufderhöhe; Besitzer Wilhelm Krings — Gartenpartie mit Tanzfläche; Schöner romantischer Ausflugsort  — Große Gartenanlagen, Kegelbahn, Gesellschaftszimmer u. Saal — Täglich Kaffeerestauration.»

 

Verlag u. Photo Hugo Henckels, Aufderhöhe / Rhld.
Poststempel 23. Juni 1931

 

Dieses Panoramabild aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg zeigt gut, wie würdig und durchaus ein wenig monumental zugleich das Ehrendenkmal angelegt ist. Durch den intensiven Baumbewuchs auf dem nunmehrigen Peter-Höfer-Platz hat es eine total andere Wirkung bekommen und versteckt sich geradezu im Schatten der Bäume. Auch ist die Ehrenflamme (rechts auf der Mauer) kaum noch zu erkennen.

Verlag Richard Kurzins, Wuppertal

 

 

Die gleiche Szene heute, 2005. Das Ganze wirkt banalisiert, verwuselt. Ein Produkt des Zeitgeistes: das heroische mochte man irgendwann nicht mehr, konkret nach dem zweiten Weltkrieg. Aus verständlichen Gründen. So verstehbar es ist, so sehr ist es zugleich - ungewollt, in Kauf genommene - architektonische Geschichtsverfälschung. Die Veränderung der Vergangenheit zum beliebigen Gegenstand der Banalisierung. Geschichtsinterpretation - auch wenn sie keineswegs "schlecht gemeint" ist - findet eben nicht nur in Büchern, sondern auch im Dinglichen statt. Und ist nicht zu vermeiden.

Foto: hgw

 

Die einst frontseitig am Denkmal angebrachten Platten sind dezent an der Seite angebracht - immerhin, das zeugt von Würde und Respekt dem Denkmal gegenüber und insofern ein Kompromiss, der dem Andenken an die Toten wie auch der Aufgabe gerecht wird, etwas zu erhalten, was auch Gefahr laufen könnte, falsche Gedanken und Gefühle zu  wecken.

 

Zugleich ist diese Szene ein Beleg, wie sehr sich unsere Augen anhand standardisierter Phänomene an Interpretation gewöhnt haben. Hier die heutige Realität in Farbe: ein altes Schieferhaus, an dem sich der Bus vorbeischlängelt, dahinter ein kecker Neubau ...

 

Und - schwupp - ist das Ganze eine Kulisse der Vergangenheit, wenn man das Bild nostalgisch einfärbt. Und nun darf man philosophieren: Ist die Gegenwart nun noch ein Bild der Vergangenheit oder die Vergangenheit nichts anderes als fortgesetzte Gegenwart ... ? Am besten, sie gehen in den Biergarten hinterm Haus und fangen an zu Diskutieren :-)

 

 

 

 

 

 

Fotos: hgw

 

 

Alt und doch neu: Neuenhaus, an der Neuenkamper Straße, von der "oben" der Neuenhof abbiegt, und wo sich dort auch die Neuenhofer Straße anschließt, aber das Neuenkamper Feld ist nur indirekt zu erreichen; klar, dass die Neustraße sowieso woanders ist, aber der Neuenhauser Kotten ist unterhalb Neuenhaus am Nöhrenhauser Kotten, während Neuenufer natürlich nicht in Höhscheid ist, und das Neutor auch nicht oder Neuwerk. Übrigens, Neu York auch nicht. Alles klar ???

 

 

Schade, dass es das Höhscheider Bier nicht mehr gibt. Ich hätte mich sooooo gerne zum Bär getrunken.

 

Die Höhscheider Brauerei existierte, vereinfach gesagt, vor rund 100 Jahren und ist in den 1920er Jahren in ihrer Produktion bei der Solinger Brauerei Beckmann integriert worden; der formalsjuristische Aktienmantel existierte noch bis in die 1950er Jahre.

Schöne Häuser gab es in allen Orten des Solinger Kreises. Die Fabrikanten "konnt'n sech hölpen", wussten zu leben. Und Reichtum demonstrierte man immer schon gerne ungeniert. Hier eine Haustüre in Höhscheid, leider ist nicht überliefert, zu welchem Haus sie gehört.

Verlag Wilh. Fülle, Kunstanstalt, Barmen; 1906