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Goethe, Werbung, Marketing |
Multimedia, Werbung, Kommunikation, Marketing, Quoten,
Benchmarks - alles Dinge von heute, modernes Management? Weit gefehlt. Eine
ewige, eine alte, eine längst durchdachte und gelöste Aufgabe. Doch
vielleicht für viele, die Literatur und die Dichter für etwas altes und
nichts sagendes halten, vielleicht eine Überraschung, dass kein anderer als
Altmeister Goethe (wer denn auch sonst :-) mit einer logischen Perfektion
bereits formuliert hat, um was es wirklich geht, wenn man mit Publikum in
Kontakt treten und es für die eigene Sache begeistern oder bei Laune halten
will. Und er hat es so formuliert, dass man auch aus heutiger Sicht kaum
etwas hinzuzufügen hat.
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Die elf besten Multimedia-Regeln
Interpretiert von Hans-Georg Wenke
Nach Texten von Johann Wolfgang von Goethe in
«Faust I», Vorspiel
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Für alle, die gerade den «Faust» nicht mehr geistig
präsent haben. Der Theaterdirektor hat in einer Stadt einen Saal gemietet
und will abends ein Schauspiel präsentieren, das möglichst viele Menschen
ins Theater treibt. Er unterhält sich mit seinem Textchef, dem Autor. Eine
Lustige Person, sie symbolisiert im rhetorischen Kontext
These-Antithese-Synthese den "advocatus diaboli", den immer zweifelnden
Gegenfrager, kommentiert zuweilen den Dialog des Theaterdirektor mit dem
Dichter. Und damit hat der Direktor die gleichen Sorgen und Probleme wie
heutige Manager: sie müssen ihr Produkt, ihr Unternehmen so oft und so
attraktiv wie möglich vermarkten. Auch heute muss man für sich selbst, für
den Markt und für den Umsatz «Theater machen».
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Regel Nr. 1
Direktor, über das Publikum, die Konsument:
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«Sie sitzen schon mit
hohen Augenbrauen
Gelassen da und möchten gern erstaunen»
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Heißt übersetzt für Marketing, Verkauf, Präsentation und
Werbung:
Bieten, was erstaunt.
Nicht nur, was erwartet wird.
Immer über die üblichen Erwartungen hinausgehen.
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Regel Nr. 2
Direktor; über sein Programm, sein Angebot räsonierend:
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«Ich weiß, wie man den Geist des Volkes versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.»
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Bedeutet für alles, was «nach außen» geht:
Nicht zu hohe Ansprüche an das Qualitätsempfinden
eines Kunden- oder Empfängerkreises stellen.
Sie haben jede Menge Vorurteile und meinen, es besser zu wissen.
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Regel Nr. 3
Direktor, den Dichter/Texter («Produktmanager»,
«Marketingchef» ) fragend:
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«Wie machen wir's, dass alles frisch und neu
und mit Bedeutung auch gefällig sei?»
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Ist die dringende Mahnung,
Bekanntes in neuer Verpackung bringen. Nur nicht zu
viel Neues bietet, was verwirren könnte. Die Wiedererkennbarkeit ist
notwendig, um auf neues vorzubereiten.
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Regel Nr. 4
Dichter, verzweifelnd ob der Banalität, die er abliefern
soll:
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«Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt, ist für den Augenblick geboren;
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.»
Daraufhin, scheinbar ironisch, die Lustige Person:
«Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte;
Gesetzt dass ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern.«
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Ein Kernpunkt der mahnenden Thesen Goethes:
Halte Dich an den Zeitgeist, und sei der noch so fad
und scheinbar niveaulos.
Leider wollen immer alle Konzeptioner, Texter,
Gestalter den Höhepunkt des geistigen Kulturschaffens erarbeiten und sich
dafür Zeit, viel Zeit erzwingen.
Doch die Lustige Person mahnt Realitätsbezug an. Und
wer den Zeitgeist versteht, der muss sich vor dem Publikum nicht fürchten.
Der kann es in den Griff bekommen.
Also:
Medien sind für die Gegenwart, nicht für die Zukunft
gemacht.
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Regel Nr. 5
Direktor, das Prinzip "Alternativen bieten" einfordernd:
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«Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.»
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Daraus leitet sich ab:
Man kann im vorhinein gar nicht wissen, was den
Menschen wirklich gefällt.
Deshalb muss man für alle Motivlagen gewappnet sein. «Die Menschen dort
abholen, wo sie stehen» sagt man auch dazu.
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Regel Nr. 6
Direktor, als hätte er die Vielfalt des ungehemmten
Internets vorausgeahnt:
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«Und seht nur hin, für wen ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
Und was das Allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale,
Man eilt zerstreut zu uns wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt.»
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Exakt dies heißt heute:
Menschen sind Info-Zapper geworden. Sie konsumieren
Informationen nicht mehr systematisch und gezielt. Sie lassen sich von
Anregungen treiben und entscheiden launisch, nicht logisch.
Deshalb: Eine gute grafische Präsentation, egal, ob
auf Bildschirmen oder auf Papier, hat so viele Ansatzpunkte, dass sie
verschiedenen Interessen dient.
Und deshalb lautet die Goldene Regel der zeitgemäßen
Kommunikation:
- Im richtigen Augenblick
- im richtigen Medium
- in der richtigen Gestaltung
- mit dem richtigen Inhalt
- beim richtigen Empfänger sein.
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Regel Nr. 7
Lustige Person, den Dichter ermunternd, zum Fabulieren
auffordernd, man könnte auch meinen, die daily soap erfindend:
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«So braucht sie denn, die schönen Kräfte,
Und treibt die dicht'rischen Geschäfte,
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt,
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
Und eh' man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
und wo Ihr's packt, da ist's interessant.»
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Noch eine Goldene Regel, die von vielen ignoriert wird:
Umwege sind immer der direkte Weg zum Ziel. Nicht mit
der Tür ins Haus fallen.
Den Lesern, Zuschauern, dem Publikum Zeit geben, sich
mit der Situation, der Botschaft vertraut zu machen. Sie ins Alltägliche
einbetten, begreiflich und verständlich darstellen.
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Regel Nr. 8
Lustige Person, ihre Botschaft noch verstärkend:
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«In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.»
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Klar und eindeutig:
Nüchterne, logische, direkte und un-emotionale Fakten
töten die Phantasie, sind langweilig und keiner will sie wirklich hören,
sehen, wissen.
Die sich für so straight und cool und clever haltenden
Manager mit ihrem Zack-zack-zack-eins-zwei-drei sind in Wirklichkeit die
größten Langweiler, die keiner wirklich ernst nimmt. Sie gefallen nur einem,
sich selbst.
Millionen Powerpoint-Präsentationen (und nicht nur
die) können sehr wohl irren und kommunikativer Bullshit sein.
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Regel Nr. 9
Lustige Person, nun wieder tröstlich, über Zielgruppen und
deren Ansprüche:
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«Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
ein Werdender wird immer dankbar sein.»
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Vieles können Medien erreichen, aber eben nicht alles:
Perfektion kann es in Medien nicht geben; einig und
allein die Nutzer können sich perfektionieren, nie das Medium und der Inhalt
selbst.
Was soviel heißt: Kunden, die man einst gewann, kann
man auch wieder aus den gleichen Gründen verlieren. Dennoch heißt es, sich
und seiner eigenen Linie treu zu bleiben - nur eben die Erscheinungsform zu
variieren.
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Regel Nr. 10
Dichter, verzweifelnd, ob er einer solchen Aufgabe gewachsen
ist (und der Dichter im Faust ist der Manager von heute):
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«Ich hatte nichts und doch genug,
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gib ungebändigt jene Triebe,
Das tiefe, schmerzvolle Glück,
des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gib meine Jugend mir zurück!»
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Die Beschreibung des ewigen, sich stets wiederholenden
Konfliktes, ob Kommunikation nicht auch eine Frage des
Generationenunterschiedes ist:
Es gibt kein Medium für alle Generationen.
Zielgruppenfragmentierte Werbung und Multimedia machen Sinn: Kultur,
Bildung, Beruf, Generation, Status, Selbstbild - es gibt nicht nur ein
Publikum, es deren viele, sehr viele.
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Regel Nr. 11 — die wichtigste von
allen
Direktor:
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«Was hilft es, viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.»
«Was heute nicht geschieht,
ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluss
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen.»
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Mehr denn je gilt:
«Der Worte sind genug gewechselt,
lasst mich auch endlich Taten seh'n.»
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