Katalog-Manuskript

Früher kam man in eine Druckerei mit einem Schuhkarton voller Manuskripte unterm Arm. Je unsortierter, desto höher die Erwartungen, dass andere durchblickten und mit leichter Hand arrangierten, was die Autoren nicht zu Stande gebracht hatten. Solinger Stahlwarenfirmen waren Meister im Kleben unmöglicher Manuskripte. Einerseits. Aber andererseits waren die Grafiker und Planer auch Genies im Improvisieren, Zeichnen und pingeligen Auflisten unendlicher Zahlenkolonnen, dem Auseinanderhalten total ähnlicher Bilder und dem Anspruch, mehr auf eine Seite packen zu wollen als diese an Platz anbot. Egal, wir (Hand-) Setzer haben es immer wieder geschafft. Fluchend, mit irrem Zeitaufwand, aber - im Gegensatz zu heute - gut bezahlt. 

 

 

 

Keine Excel-Tabelle, kein Databased-Publishing, keine Datenkonvertierung aus SAP, kein Content Management System. Einfach nur ein handgeschriebenes Manuskript. Man nahm sich Zeit und arbeitete sorgfältig. Trotzdem wurden die Drucksachen rechtzeitig fertig.

 

 

Scheiß-langweilige, aber hoch konzentrierte Arbeit: Zahlen um Zahlen. Und wehe, man war unaufmerksam ... !

 

 

 

 

Gebrauchsgrafiker und Entwerfer, die noch Skizzen machen konnten, die wie die Repro-Vorlage aussahen. Präzise und passgenau.

 

 

 

Solche Seiten, es kommen nun einige davon, waren das Salz in der Lebenssuppe der Setzer.

Setzer zum Grafiker: "Das passt nicht auf die Seite, das sehen Sie doch schon an ihrem Manuskript."

Grafiker zum Setzer: "Sie haben recht. Sehen Sie zu, wie Sie es auf die Seite bekommen."

Das waren die Momente, in denen man als Setzer daran dachte, ob der Richter nicht Einsehen hätte und einen Freispruch verhängen würde, statt Zuchthaus wegen Totschlags.

 

 

 

 

 

Angefangen, und irgendwann wäre es weitergegangen. Wäre das Manuskript - wahrscheinlich 1916 - nicht liegen geblieben. Höchst wahrscheinlich wegen der Wirtschaftslage im Ersten Weltkrieg.

 

Übrigens: die Vorläufer der heute so beliebten Pins !

 

 

 

 

 

 

 

Wieder so ein tolles Gefühl für Setzer und Reproiden: wie bekommt man bunt in einfarbig hin? Und: wie soll denn nun alles auf die Breite passen? Und was war zum Schluss, nach langem Hin und Her: es passte. Jünger Gutenbergs waren eben immer schon Helden.

Ach ja, für heutige nur-noch-Computer-gewöhnte Grafiker sei nachgetragen: natürlich waren dies alles Klischees, Zinkätzungen oder Galvanos, oft sogar noch echte Holzstiche. Und damit absolut größen-unveränderlich.

 

 

 

 

 

 

Wieder so eine tolle Seite. Arbeitsaufwand allein im Handsatz: gut und gerne 3 Stunden, bei richtig montierten Klischees. Kamen die nur als Platten und mussten noch aufgeklebt und teilweise ausgesägt werden, dauerte solch eine Seite auch schon mal knapp einen Arbeitstag.

 

 

 

 

Fotos, alte Drucke, Zeichnungen, Handschrift: der typische Mix früherer Manuskripte.

 

 

Original-Manuskripte / Layouts um 1900; Zigarrenabschneider

 

 
 

 

 

 

Um 1900: ein Layout unter Verwendung von Fotografien; dies war eine sehr frühe Phase der Ablösung von den üblichen Holzschnitten (Xylographien) und daraus gefertigten Galvanos durch lithografische, reproduzierte Fotos.

Absolut unüblich zur damaligen Zeit waren Linien und Kästen, die heute als Gestaltungsraster vor allem bei Bildern und Texten unterschiedlicher Länge verwendet werden (so auch in dieser Website). Da die Kataloge Handsatz waren und die Klischees auf Holzschuhen aufgenagelt waren (erst um 1960 war es möglich, sie auf Metallstege/-unterlagen aufzukleben), wären Linien eine entsetzliche Bastelei gewesen, die extrem zeitaufwendig und dann auch kaum sauber zu fertigen gewesen wäre. Von Rasterflächen als Background, wie heute üblich, ganz zu schweigen. Und Farbe war sowieso tabu.

 

 

Gefunden in einem Layout-/Manuskriptbuch, das auf "um 1910" einzuschätzen ist. Hier ist bereits ein solches Werkzeug vorgestellt, wie es heute als Leatherman Kultstatus hat. In Solingen erfunden und von hier verbreitet, hat sich Victorinox die Weltherrschaft über die Vielzweckmesser gesichert, Leatherman über die Multiwerkzeuge, die ebenfalls hier in Solingen seit mehr als 100 Jahren erfolgreich und zahlreich hergestellt werden. Doch eben, die Solinger Industrie hat immer auf Qualität und damit rationales Kalkül gesetzt, emotionales Marketing lag ihr nicht, etwas zum Kult zu machen, ist selten gelungen. Einzig Kochmesser sind heute wirklich Kult, vor allem durch die breite Phalanx kochender Männer, die dies ja nicht könnten und wollen, hätten sie dazu nicht Spielzeuge. Was der Elektronik-Kram für's Business, sind Solinger Kochmesser für die Küche des modernen aktiven Mannes.