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Solinger Typografie |
Es gibt sie, und es gibt sie nicht. Natürlich wurden und
werden Werbe-, Informations- und Funktionsdrucksachen für Solinger
Produkte so gestaltet, wie andere hierzulande auch. Und dennoch hat sich
ein eigener Stil im Laufe der Jahrzehnte gebildet und erhalten, der
freilich die Spannbreite zwischen profan und elegant, großzügig und geizig
umfasst. Und rein bild-, repro-, satz- und drucktechnisch gab und gibt es
den Widerspruch, dass manche Drucksachen der 1960er Jahre so aussehen wie
in den 20ern, und manche aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts schon
kommende Entwicklungen vorwegnehmen. Also mal wieder typisch Solingen:
alles in einem und alles zugleich. Aber dennoch immer wieder ganz anders.
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Ausgangspunkt aller Gestaltung: Drucksachen haben
Verkündigungscharakter und sind "heilige Dokumente". |
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Druckerei Roland Koch, Solingen, Südwall 16
gedruckt 1894 |
Idealtypische Solingen-Darstellung. Insgesamt in
imperatorischer, monumentaler Art, Insignien zeigend wie es sonst nur
Kaisern und Königen vorbehalten ist. Und den Schriftzug Solingen in
seiner in der Tat typografischen Spannung immer wieder neu zelebrierend.
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Lithografie und Steindruck, 1920er Jahre; Gestalter und
Druckerei nicht angegeben
Spezialrasierklingenfabrik
H. B. Ruenhorst, Solingen |
Ein durch und durch amerikanischer Briefbogen,
ähnlich findet man sie heute noch zu Hauf im angeblich so modernen
Ländle, das konservativer ist als es Preußen jemals war. Doch zwischen
New York und Toronto hat sich die Wupperstraße eingenistet. Na ja, warum
nicht. Aber rein typografisch gesehen: zu einer solch schriftbetonten
Lösung konnten sich Solinger Unternehmen schlecht durchringen.
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Solinger Design, das ist zunächst einmal die
Totale. Illustrationen gehören mit dazu, wie auch sonst, wird man sich
gedacht haben, soll man verdeutlichen, was die Pracht und Herrlichkeit
ist, auf die die Solinger Fabrikanten so stolz waren und sind.
Zahlreiche "Repro-Anstalten" haben früher diese
Klischees und Lithos hergestellt, unter anderem Contius in Wald,
Klischee-Hautzel an der Eintrachtstraße, Litho/Repro Conrad in Ohligs |
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Design, erlaubterweise verwegen auch mit
"Schönheit" übersetzt, stand nur selten im Vordergrund des Interesses der
Gestalter von Werbe- und Informationsdrucksachen. Es sind meistens sehr
egozentrische, zuweilen sogar protzende und prahlende Elemente wichtiger.
Ich bin der größte, schönst, beste, das ist die Attitude, mit der die
meisten Drucksachen aus Solingen und über Solinger Produkte daherkommen.
Und immer wichtig war die Bild- oder Wortmarke, entweder eingebettet in
das Firmenlogo oder als zusätzliches Wiedererkennungszeichen. Insofern,
auf die Marke (heutige Fachvokabel: Brand, Branding) haben die Solingern
immer schon allerbestes Marketing betrieben. |
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Die meisten Solinger Prospekte und Kataloge mit
Stahlwaren, Messern usw. jonglieren auf der Grenzlinie zwischen
wohltuend-ruhiger Sachlichkeit und seitenlanger Langeweile. Es ist eine
verdammt schwierige Gestaltungsaufgabe, sich ähnlich sehende Produkte so
zu präsentieren, dass sie optisch interessant bleiben. In den meisten
Katalogen jedoch erschlägt die Fülle, die Auswahl wird eher erschwert,
denn nach was, also welchem Kriterium soll man entscheiden?
Wohltuend vernünftig ist, dass viele Drucksachen
drei- und viersprachig angelegt sind, also international optimal benutzt
werden können. |
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Nicht unüblich ist auch das genaue Gegenteil,
nämlich das Weglassen der Texte und Reduktion der Informationen auf
Bestellnummern und Größenangaben. |
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Zuweilen hat man auch den Eindruck, man wolle
Eleganz durch reduzierte Schlichtheit erreichen. Was aber durch so etwas
Blödes wie einen irgendwo hingeknallten Stempel des Händlers wieder ad
absurdum geführt wird: die Wirkung der Doppelseite ist aufgehoben. |
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Den "Normalmenschen" zu adressieren tun sich
übrigens alle - ausnahmlos alle - Solinger Unternehmen sehr schwer. Sie
leben in der Vorstellung, durch ihre Produkte würden Menschen aus dem
Normalen herausgehoben oder die Produkte seien eben für "die hühtere
Gehaltsklasse" (wie man in Solingen gerne sagt) genau das Richtige. Na
ja, bei den typischen Preisen ist diese Ansicht auch gar nicht so
verkehr. |
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So sahen Mitte der 1950er Jahre Manuskripte aus.
Gestalter, Setzer, Foto- und Reprographen mussten aus diesen spärlichen
Angaben ahnen, wie es dem Kunden am liebsten wäre. Was so schwer nicht
war, da sich jedes Unternehmen auf den eigenen Stil, ein einheitliches
Layout eingeschossen hatte.
Von großartiger Blumigkeit sind die Texte, die in
diesem Original-Henckels-Manuskript niedergeschrieben sind. |
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Bleibt zu fragen, warum man damals Löcher in
Tischtücher machte ??? Und Brechbohnen: nun ja, man isst sie und ... |
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Und nicht alles wurde immer gleich gedruckt. Der
x-te Durchschlag einer maschinengeschriebenen Liste musste manchmal
reichen. Der Firmenstempel machte sie dann auch noch "amtlich". Mühsames
Unterfangen im Büro, auf mechanischen Maschinen stundenlang solche Listen
zu tippen. |
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Eine der typischen "Bastelarbeiten", die ich als
Handsetzer so sehr geliebt habe. Der Anspruch war rein handwerklich
gering, man konnte also in Ruhe weiterschlafen (war da nicht gestern der
Kegelabend?), man hatte die Freiheit, so zu setzen, wie es gerade passte
(siehe die verschiedenen Fluchtlinien); die Manie, alles auf Block zu
setzen oder auch sonst zu sperren, brachte schön Zeit auf den Tageszettel
(blieb genügend Zeit für ein paar Zigaretten zwischendurch), die
mathematischen Ansprüche waren eher gering (was Punkt eins, dem Gehirn
auf Halbschlaf halten, sehr entgegen kam): 12 Cicero gepunktete Linie, 4
Punkt Regletten Über- und Unterschlag, gut, auch ein paar
6-Cicero-Linien, aber alles moderat. Arbeitszeit: so um anderthalb
Stunden. (Bekommt man das in Quark oder InDesign wirklich schneller hin?
Im Prinzip ja, aber die meisten würden zwei Stunden dran basteln, aus
Unsicherheit und mit zig Varianten.) |
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Drucken war und ist keine ganz billige
Angelegenheit. Weshalb viele Drucksachen einen Zusatz, Stempel, Aufkleber
bekamen; das war billiger, als die Drucksachen wegzuwerfen und neue
machen zu lassen. Auch wenn die Optik darunter litt. |
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Hier sind Sets mit Universalwerkzeugen, wie sie
auch im oben abgebildeten Henckels-Manuskript beschrieben werden. Doch
eben dies ist der Unterschied: während in den 50er Jahren ein wenig zu
stark "auf die Tube gedrückt" wird, sind die Beschreibungen um 1910 rein
technisch ohne jeglichen emotionalen und verkaufsfördernden Impuls.
Denn so mancher Solinger Fabrikant (nicht das
Pfeilringwerk, von dem der Prospekt stammt) stellte sich auf den schier
geschäftsmörderisch-verwegenen Standpunkt: Wer Werbung macht, hat's
nötig. Das Ideal des Solinger Kaufmanns war, wenn ihn die Kunden
anflehten und bettelten, kaufen zu dürfen. Egal, zu welchem Preis. |
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Typisch für die "Solinger Typographie" ist, dass
Briefbogen fast schon kleine "Flyer", verkaufsfördernde Prospekte sind.
Zumindest wird über die Vielzahl der angebotenen oder gefertigten Artikel
sehr direkt auf die Bedeutung des Unternehmens hingewiesen.
Hier wird auf den neuen Buntprospekt hingewiesen;
für 1955 ein mutiger Schritt, weil durchaus sehr teuer. |
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Die Titelseite ist nicht nur für die 1950er Jahre,
sondern speziell auch für Solingen eine typische Grenzlinie zwischen
ornamentalen Schmuck und rationaler Zurückhaltung. Hier ist es ganz
raffiniert gelöst: das Bild ergeht sich im barocken Ambiente, die
Typografie aber ist schlicht. Dieser Stil war prägend bis in die 1970er
Jahre. |
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Man beginnt dennoch, mit Farben zu spielen. Dass es
- im Rückblick betrachtet - recht ungeschickt ausgeht, bedarf einer
Entschuldigung: die Grafiker hatten bis dato nicht oder höchst selten die
Gelegenheit, sich "in Farbe" zu üben. Es war einfach ganz neu. Nach
heutigem Gesichtspunkt wäre eine solche Seite eine Katastrophe; damals
machte es "schwer Eindruck", wenn so etwas in Farbe daher kam. |
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So ganz bunt war der Buntprospekt dann nun doch
nicht, sondern nur in einem Druckbogen (auch dies ist für die Zeit um die
60er Jahre üblich). Ansonsten zog man sich auf die "Buntheit" der
Zweifarbigkeit zurück. Mit der die Grafiker, das zeigt der unmittelbare
Seitenvergleich, wesentlich besser zurecht kamen. Hier ist die
Schmuckfarbe sauber, solide und trotzdem wirksam-elegant eingesetzt. |
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Guter bis sehr guter Umfang mit der Zweifarbigkeit
im Sinne von "Gebrauchsgraphik". Was aber auch in dieser Zeit für die
Solinger Drucksachen typisch ist, sind gezeichnete Schriften. Sowohl der
Firmen-Schriftzug wie die Schlagworte auf den Seiten sind handgezeichnet,
keine bleigegossene Handsatzschrift. Freilich ist der Rest normaler
Handsatz. |
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Für die Heutigen kaum nachvollziehbar ist, dass
Schwarzweiß auch für Werbung und Reklame durchaus ausreichend sein kann.
Wenn! Eben wenn man Typografie bewusst einsetzt. Es lässt sich immer,
immer!, darüber streiten, ob man diesen und jenen Entwurf nicht auch
hätte anders ausführen können. Ja natürlich hätte man. Und immer, immer!,
kann man beweisen, dass es auch noch besser geht. Aber wie dieser
Drucksache muss man hunderttausenden, die in Solingen gedruckt wurden,
bescheinigen, dass sie zweckmäßig und demzufolge "good enough" sind. Was
nicht "gerade mal gut genug" oder gar nur "ausreichend" bedeutet, sondern
"genau richtig".
Im direkten Vergleich, hier elektronisch umgearbeitet, zeigt sich, dass
Farbe keineswegs ein Gewinn ist. Solinger Typografie ist im
Schwarzweiß-Stil nicht "arm", sondern genau richtig für den Einsatzzweck. |
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Die obigen Beispiele schwarzweißer Präsentationen
sind rund 100 und ca. 50 Jahre alt. Und dieses hier ist neu, stammt aus
2003. Und beweist: die These, Schwarzweiß sei "grafisch", lässt sich
immer und immer wieder bestätigen und beweisen.
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Rückseite einer Beitrittserklärung des Vereins für Philatelie und
Postgeschichte Solingen 1903 e.V. |
Eine berauschend schöne Jugendstil-Gestaltung aus
Paris. Passt so etwas zu Solingen? |
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Nö. Auch wenn hier demnächst ein Design-Institut
angesiedelt wird. |
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Sprung in die Neuzeit: eine graphisch sehr
gelungene Annonce für die Entsorgungsbetriebe der Stadt Solingen.
Gratulation dem Designer, der Versuchung zu widerstehen, die Mittelachse
der wenigen Zeilen durch den Kamin laufen zu lassen. Dies wäre langweilig
gewesen. So aber bekommt das Ganze eine ungeheure Spannung und eine
eigene Ästhetik. Viel zu wenig sieht man so etwas Gutes in und aus dieser
Stadt. Dabei wäre an Motiven kein Mangel. |
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