Juden

Wenn ein Aspekt der Geschichte, Kultur, Gesellschaft heut nicht mehr objektiv gesehen, behandelt und dargestellt wird, dann ist es ohne Zweifel der Gesamtkomplex des Judentums in Relation zu Deutschland. Es gibt kaum ein geographisch oder geschichtlich mit anderen Ländern vernetztes Land der Welt, dass nicht ein spezifisches Verhältnisse zu diesem durch die Religion geprägten Volksstamm hat. Aber der nunmehr Holocaust genannte deutsche Weg der geplanten totalen Vernichtung des Jüdischen im so bezeichneten deutschen Dritten Reich wirkt bis heute intensiv nach. Die Ambivalenz zwischen vorsichtiger Annäherung bzw. Re-Integration, unverkrampftes Miteinander und latenter Hass oder offene Gewalt gegen Jüdisches machen Normalität schwer bis unmöglich. Die täglichen Nachrichten aus  Nahost  lassen es einfach nicht zu, das Thema vorurteils- und emotionsfrei zu bewältigen. Natürlich kann man sich - wie dies Historiker scheinbar zu tun pflegen - auf Fakten beschränken. Doch auch Fakten und deren Darstellung in Worte oder anderen Zusammenhängen, eine geringste Bewertung durch ein Prädikat im laufenden Satz lenkt bereits die Gedanken in eine bestimmte, gewollte Richtung - oder erzeugt Widerspruch, der sich steigern kann.

 

Es ist letztendlich nur eine Laune des Zufalls. Dennoch sollte man sich der Tatsache stets bewusst sein, dass der "Buchhalter der Judenvernichtung", einer der Organisatoren der Massentötung, in Solingen geboren wurde, Adolf Eichmann.

 

1906 (19. März) geboren in Solingen als Sohn des Buchhalters und Firmenbesitzers Adolf Eichmann und dessen Ehefrau Maria (geb. Schefferling)
1914 zieht die  Familie nach Linz (Österreich), dort Schule und Berufsjahre
1927 Beitritt zum deutsch-österreichischen Frontkämpferbund.
1932 wird er Mitglied der österreichischen (NSDAP) und der Schutzstaffel (SS); aufgrund des österreichischen NSDAP-Verbots Übersiedlung nach Deutschland, wo er in Bayern eine vierzehnmonatige militärische Ausbildung durch die SS erhält
ab 1934 Referententätigkeit im SD-Hauptamt Berlin, Referat II 112 ("Referat Juden")
1938 Versetzung als Referent in die Dienststelle des SD-Führers beim SS-Oberabschnitt Donau.
1939 Er übernimmt die Leitung der von im Juni eingerichteten "Reichszentrale für jüdische Auswanderung" in Berlin. Eichmann ist an den Planungen zur Zwangsumsiedlung der Juden in das Generalgouvernement beteiligt. Er erhält das Referat IV D 4 ("Referat Auswanderung und Räumung") des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in Berlin. Eichmann wird zur zentralen Figur der Deportationen von über 4 Millionen Juden in die Ghettos und Konzentrationslager, Beförderung zum SS-Obersturmbannführer.
1942 Er führt Protokoll auf der sog. Wannsee-Konferenz, bei der die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen wird.
1945 Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelingt ihm die Flucht aus der amerikanischen Internierungshaft;  mt gefälschten Papieren lebt er in Deutschland.
1950 Eichmann emigriert über Italien nach Argentinien, wo er unter dem Namen Ricardo Klement in Buenos Aires lebt. Seine Frau Vera (geb. Liebl) folgt ihm wenig später mit ihren drei Söhnen. Er erhält eine Anstellung als Leiter einer Unterabteilung bei Daimler-Benz.
1960 Nach monatelanger Beobachtung nimmt der israelische Geheimdienst Eichmann fest. Er wird neun Tage später nach Israel entführt, da zwischen Argentinien und Israel kein Auslieferungsabkommen besteht.
1961 Eichmann-Prozeß in Israel. Er bekennt sich nicht schuldig im Sinne der Anklage und beruft sich auf Befehle von Vorgesetzten. Eichmann wird in erster und zweiter Instanz zum Tode verurteilt.
1962, 1. Juni: Das Todesurteil wird im Gefängnis Ramleh bei Tel Aviv an Adolf Eichmann vollstreckt.

 

 

 

 

 

 

Endete im unrühmlichen Kapitel deutscher Vergangenheit: die Synagoge an der Malteserstraße. In der sog. "Progromnacht" (auf den 10.11.1938) wurde sie, so wie dies in zahlreichen anderen Städten auch geschah, in Brand gesetzt.

Wilhelm Bramann, ehemaliger Geschichts- und Deutschlehrer und Rektor, hat sich mit dem ihm eigenen Fleiß und einer bewundernswerten Konstanz der Aufzeichnung jüdischer Schicksale in Solingen verschrieben und darüber Bücher veröffentlicht. Etliche Schulen und anderen Initiativen kümmern sich mit Respekt und hohem Sachverstand um die Pflege des jüdischen Friedhofs und halten so in angemessener Intensität die Erinnerungen wach.

 

1933 gab es in Solingen 217 gläubige Juden, zu Beginn des Krieges, 1939 nur noch 78, davon 53 so genannte Glaubens-Juden.Weitere ca. 100 Personen waren Abkömmlinge 1. und 2. Grades, also Kinder aus Ehen mit jeweils einem jüdischen Elternteil.

 

aus dem Buch "Müller: Chronik einer Stadt", ohne Datum und Verlag

In der Programnacht wurde Max Leven, Redakteur, erschossen. Später, am 26. 10. 1941, wird eine erste Gruppe Solinger Juden ins Ghetto Litzmannstadt gebracht, keiner überlebt. 1942 werden wieder Juden deportiert, unter ihnen der Fabrikant Dr. Alexander Coppel, dessen Familie sehr viel für Solingen getan hat. Er stirbt im KZ Theresienstadt, auch die anderen werden ermordet. Ein halbes Jahr vor Ende des Krieges werden die in sog. "Mischehe" lebenden Solinger Juden verschleppt (KZ Theresienstadt), die meisten von ihnen überleben dies.

 

 

Der jüdische Friedhof, auf der Kuppe eines hohen Berges, unauffällig eingebettet in dichte Bebauung gelegen. Eingefriedet und geschlossen, aus gutem Grunde, zu seinem eigenen Schutz.

 

 

Nur eine Tafel zum Gedanken blieb von den vielen Menschenleben, "die in den Jahren 1938 bis 1944 Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns wurden", wie der Text gemahnt.

 

 

 

 

Ein entwürdigendes Verbalgeplänkel in den Medien fand um den Text - den nicht vorhandenen Text - in dieser Gedenktafel statt. Sie befindet sich am Haus der Stadtbücherei in der Clemensgalerie. Weil NICHT erwähnt wurde, dass Emil Kronenberg Jude war und trotz Deportation und. KZ-Qualen wieder nach Solingen zurückkehrte und hier weiter öffentlich wirkte.

Über den Sachverhalt, dass es nicht erwähnt wird, kann man sicherlich diskutieren. Die plumpe parteipolitische Art, wie es geschah, ist beredt genug, um Zeugnis abzulegen, dass auch in Solingen demokratisch-moralische Werte längst antastbar geworden sind.

 

Kommentar: Normalität

Wie wollen wir jemals den Umgang mit allem Jüdischen  vernünftig und verantwortungsvoll im Alltag regeln, wenn bei jeder Gelegenheit egal, von welcher Seite, egal, aus welchem Anlass, aber immer laut und fordernd, nicht selten vorwurfsvoll die bedingungslose Beachtung der  Besonderheiten jüdischen Angelegenheiten angemahnt und eingefordert werden. Die demokratische Diskussion und das Wachhalten eins geschärftes Bewusstseins  muss doch nicht heißen, ihr keinen Freiraum zu geben, in der Meinungen divergieren. Und wenn man aus Angst vor Äußerungen herabwürdigender Art, die jeder frei denkende Mensch als unangemessen einstufen kann, Meinungsvielfalt und widersprüchliche Ansichten  unterdrücken will, dann wird der Mythos des Jüdischen weiterhin emotional polarisieren. Es misslingt auch weiterhin der Schritt in die positive Normalität.
hgw
 

Aus den persönlichen Erinnerungen von Emil Kronenberg:

 

"1933, 1. April: Verlust der Bürgerrechte. Vor den Haustüren werden Posten aufgestellt, um die Leute zu hindern, jüdische Ärzte aufzusuchen. Die Anordnung Hindenburgs, jüdische Kriegsteilnehmer in ihrer Tätigkeit nicht zu behindern, wurde niemals durchgeführt.

1933, 2. April: Die jüdischen Ärzte in Solingen werden von der Kassenpraxis ausgeschlossen. Erhebliche wirtschaftliche Schädigung.

1934: Verbot, Angehörige freier Hilfskassen und Beamtenkassen zu behandeln. Der Druck auf Privatpatienten wird zudem immer stärker. Irgendwelche Veröffentlichungen in der Presse oder wissenschaftlichen Zeitungen werden verboten.

1935: Das Jahr der Nürnberger Gesetzte. Verbot, weibliches Personal unter 45 Jahren zu beschäftigen. Ich werde zum 1. Oktober von meiner Krankenhaustätigkeit in Bethesda enthoben. Verbot, öffentlich Büchereien aller Art zu besuchen, das gilt auch für Kinos, Konzerte und Theater.

1936: Der Versuch, einen Nachfolger für meine Praxis zu finden, scheitert. Ich muß mein Haus weit unter Wert verkaufen. Beziehe eine Altersrente von 120 Mark. Dagegen hätten mir 3000 Mark monatlich nach dem Versicherungsstatus zugestanden.

1938: Am 1. Oktober wird das gesamte Vermögen gesperrt und unter Zwangsverwaltung gestellt. Die ärztliche Bestallung wird mir entzogen. Einzelne jüdische Ärzte werden nur zur Behandlung von Juden zugelassen. Sie dürfen sich nicht als Ärzte, sondern nur als Krankenbehandler ausgeben.

Die Kristallnacht 1938:

Meine Wohnung wird überfallen. Mir werden für etwa 5.000 Mark Einrichtungsgegenstände, Geschirr, Porzellan, Kunstgegenstände zerschlagen.

Am 10. November werde ich verhaftet. Komme ins Gefängnis. Am folgenden Nachmittag werde ich wieder entlassen. Noch im selben Jahr wird mein Führerschein eingezogen. Beschlagnahme von 25 % meines Vermögens

1939: Ich muß Wertsachen aller Art abgeben. Die Entschädigung beträgt noch nicht einmal zehn Prozent. Wir sollen in einer Baracke untergebracht werden. Durch Fürsprache gelingt es, das abzuwenden. Unsere Wohnung wird aber wesentlich verkleinert. Mein Radio wird beschlagnahmt.

1940: Im Oktober zieht die Partei meinen Fernsprecher ein.

1941: Verbot Straßenbahn und Eisenbahn zu benutzen. Am 17. September kommt die Verfügung den "Judenstern" zu tragen.

1943: Meine schwerkranke Frau stirbt im Luftschutzkeller. Wiederholt rempelt mich der Ortsgruppenleiter an.

1944: Von Januar bis März liege ich mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Am 17. September erhalte ich die Benachrichtigung, mich mit zehn Kilo Reisegepäck und mit Mundvorrat bei der Gestapo zu melden. Der Transport geht über Wuppertal nach Ronsdorf. Übernachtung in einer Viehhalle des Schlachthofes. Nach 37stündiger Bahnfahrt Ankunft in Berlin.

Am 13. Oktober Abfahrt nach Theresienstad , Darmkrankheit, Wanzen und Flohplage. Später grassiert im Lager das Fleckfieber, Gaszellen werden eingebaut, kommen aber zum Glück nicht mehr zum Einsatz. Anfang Mai marschieren sowjetische Soldaten ein. Nicht nur die Verpflegung wird besser. Am 28. Juni kann ich in die Heimat zurückkehren."

 
     
     


Der Schindler aus Solingen


Geachtet im Ausland - angefeindet in Deutschland

Er hat geblufft, gedroht, getrickst und damit Hunderten von Juden das Leben gerettet: Hermann Gräbe, Bauunternehmer aus Solingen. Wie Oskar Schindler hat er zu allen Mitteln gegriffen, um "seine" Juden vor der Erschießung zu bewahren. In Israel und in den USA steht er in hohem Ansehen. Nur in Deutschland galt er lange Zeit als Lügner.

Am Anfang stand eine Massenerschießung

1941 kam Hermann Gräbe aus Solingen in die Ukraine. Im Auftrag der Nazis baute er Lokschuppen. Die Auftragsbücher waren voll, bald beschäftigte er 2000 Menschen - die meisten davon Juden.
Im November 1941 erschoss die SS Männer, Frauen und Kinder in aller Öffentlichkeit. Gräbe war geschockt und beschloss, den Juden zu helfen. Im kleinen Ort Sdolbunov kannte jeder jeden, dort konnte er niemanden verstecken. Also richtete er Baustellen ein, die weit entfernt lagen. "Seine" Leute brachte er selbst mit dem Auto dorthin, sorgte dafür, dass sie bessere Verpflegung bekamen. Und wenn der Auftrag erledigt, die Baustelle eigentlich geschlossen war, ließ er die Geldgeber im Glauben, dass immer noch kräftig gearbeitet wurde.

"Ein zweiter Hauptmann von Köpenick"

350 Juden hat er so vor den Nazis retten können. "Manchmal kam er mir vor wie ein zweiter Hauptmann von Köpenick", erzählt Dietrich Schubert, Autor der WDR-Dokumentation "In Deutschland unerwünscht – Hermann Gräbe." "Damit man ihn für einen SS-Mann hält, hat er sich bewusst so angezogen und auch einen dunklen Mercedes gefahren." Wenn er nicht weiterkam, hat er von "geheimen Bauvorhaben" gesprochen und mit Beschwerden an höchster Stelle gedroht." Ein riskantes Spiel: "Im Büro gab es immer welche, die nichts davon wissen durften. Vor einem Polier hatte Gräbe richtig Angst, weil das ein echter Nazi war."

In Deutschland angefeindet

Gräbe flog nicht auf, konnte sich gegen Kriegsende mit zwölf seiner Schützlinge nach Westen absetzen. Später wanderte er in die USA aus: In Deutschland wurde er angefeindet, weil er als einziger Deutscher bei den Nürnberger Prozessen gegen die SS-Einsatztruppen ausgesagt hatte. Der "Spiegel" stellte ihn später sogar als "Gräber-Graebe", der über seine Zeit in der Ukraine gelogen habe. "Ein schlecht recherchierter Artikel", so Schubert, "ausgerechnet zu der Zeit, als Israel ihm die höchste Auszeichnung gibt, die ein Nichtjude bekommen kann." Gräbe durfte einen Baum in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem pflanzen, nur wenige Schritte von Oskar Schindlers Baum entfernt.

Späte Ehrung

Die Behauptungen des "Spiegel" wurden nie richtig gestellt, trotz heftiger Proteste aus Yad Vashem. Gräbe kehrte nie wieder nach Deutschland zurück, starb 1986 in den USA. In Israel und den Vereinigten Staaten ist er hochgeachtet - in Deutschland galt er als Lügner, in Solingen wurde er nicht beachtet. Erst jetzt bekommt Hermann Gräbe eine späte Genugtuung: Ein Jugendzentrum in der Solinger Schulstraße, Wohnort der Familie Gräbe nach dem Krieg, trägt nun seinen Namen.

 

aus dem Internet-Archiv des WDR