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Legende |
Es ist wahr: Solingen gehört - mit nur sehr wenigen
anderen - zur Keimzelle deutscher Industriebezirke. Und wahr ist auch,
hier wurde Arbeitsteilung schon vor Jahrhunderten erfunden. Weiter ist
wahr, dass vor allem die Waffen aus Solingen kriegsentscheidend waren -
ein haltbares Schwert entschied über Sieg oder Tod. Wahr ist auch, dass
Solinger Produkte - vor allem Bestecke und später Rasierklngen - praktisch
in jedem (besseren) Haushalt Deutschlands zu finden waren. Eine Legende
jedoch war, ist und bleibt, dass die Solinger Arbeiter heroisch und
höheren Zielen ergeben waren. Sie waren aufsässig, selbstbewusst,
launisch. Sie "hauten rein" in jeder Beziehung: bei der Arbeit zuweilen
wie die Berserken, in politischen Belangen, beim Trinken sowieso und
gelegentlich auch mal in die Fresse des Kollegen ... denn wat rëiht
is moutt Rëiht blieven.
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Die Heimatzeitschrift widmet den Juli-Band 1934
Solingen und macht mit dem damals beginnenden nazianalsozialistischen
Tugendwahn auf: der Arbeiter ist unermüdlich für Führer, Volk und
Vaterland aktiv.
In Despotenstaaten von heute werden solche Texte
wahrscheinlich immer noch verwendet: |
"Wie aber in Solingen die Arbeit der Faust beschickt worden ist und
wieder geleistet werden soll, das künden Dir die ragenden Burgen der
Fabriken. Wenn sie der Klassenkampf Zwingburgen nannte, für die
Versklavung der Menschen errichtet, so hat er damit das Hohelied der
Arbeit gschmäht und vor lauter Forderungen nach immer neuen Rechten die
Feier der Pflicht verderben lassen. An diesen Mauern aber, von Türmen und
Zinnen gekrönt, richtet sich Dein Glaube auf, dass die Arbeiter
Burgmannen werden können und mögen, stolz auf den Treueid, den sie der
Herrin, der Arbeit, auf Gedeih und Verderb fürs Leben geschworen haben."
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"Meine Heimat", Kunst- und Heimatzeitschrfit für das
bergisch-niederrhein. Gebiet, Juli 1934;
Druck und verlag Ernst Scholl, W.-Ronsdorf
alle nachfolgenden Bilder aus dieser Ausgabe |
Wie abstrus sich nationasozialistische
Deutschfrömmelei ausdrückt, belegt dieser Absatz aus dem Leitartikel: |
"Wenn Du dann durch die neuen Siedlungen am Kannenhof,
in Weeg oder am Bökerhof schlenderst, die der Volksmund oft mit witzigen
Nanen belegt hat — die Weegersiedlung z. B. nennen sie
Dänemark, weil zu ihrem Erstehen im Spar- und Bauverein "dä ne Mark un dä
ne Mark" zusammengetragen hat —, wirst Du einstweilen noch von Tradition
nicht sprechen können, vielleicht auch die Straßenschluchten, in denen
ein Haus wie das andere aussieht, als Zeugen eines nicht gerade
menschenfreundlichen Geistes bezeichnen, weil es für den spät
Heimkehrenden nicht immer leicht sein wird, sich nicht in der richtigen
Haustüre zu irren." |
Ein völlig durchgeknallter Poet dichtete:
"An eine junge Arbeiterin.
Ich hätte deine Hände küssen mögen,
die schwarz waren und voller Schrunden von der Arbeit
an der surrenden Maschine.
Aber ich habe hilflos neben dir gestanden,
während du die Hebel zogst im sausenden Raume.
Du in deinem Arbeitskleid hattest keinen Blick für mich,
um den mein Blick bettelte."
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Der Solinger Heimatdichter Peter Witte beschränkte
sich, wenn auch Solingen-trunken, wenigstens auf die rührselige Art der
Heimatliebe: |
Kei Wort ob wieder, wieder Welt
Hät sunnen Zauberklang,
Womet et sich tem Mensch gesellt
Et ganz Lewe lang,
Kein Wort, wat su en Herte rührt —
On wör et hart wie Stein, —
Wtt nömmer sinne Wert verliert,
Als wie datt Wort Teheim.
Drömm, wo om Arm de Motter
Mich en de Schlp mols song,
Wo — op der Fust en Botter —
Et ierste Glück ih fong,
Wo onger huhen Böken
Et Sonndags stondenlank
Perdsnester ich geng söken
Als Kenk a Vattersch Hank. Wo
en der Berge Böschen
Der Heimat Ld erklengt,
On köhlend langs minn Löschen
Vertraut et Löffke wengt,
Wo en der Farwe Fölle
Mich größt der heimsche Fluß,
On wo en Tales Stelle
Et Rad vürm Kotten brust. |
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Blütezeit der Besteck- und Klingenindustrie: 20.000
Arbeiter in 2.000 Betrieben. Plus "nebenindustrien"; jeweils zur Hälfte
Heim- und Fabrikarbeiter. Nach heutigen
Begriffsbestimmungen waren die Heimarbeiter Scheinselbständige. Abhängig
von den Farikherren und deren Auftragslage. Zwar konnten sie unter
mehreren Arbeitgebern wählen, doch in der Summe blieb es gleich, denn die
Bezahlung wurde über Preislisten festgelegt. Freie Marktwirtschaft war
also nicht. Eine ähnliche Situation kennt man aus der Weberei und
sonstigen Textilherstellung - in den Nachbarstädten Elberfeld und Barmen
entwickelten sich deshalb auch nicht von ungefährt soziale und
sozialpolitische Ideen und Spannungen, die Mitte des 19. Jahrhunderts in
Personen (Engels) oder Aktivitäten des Gesamtbergischen für Deutchland
mitentscheidend wurden. |
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Ähnlich wie von Gerhard Hauptmann in seinem sozialkritischen Stück "Die
Weber" beschrieben, kam es auch im Bergischen mehrfach zu Aufständen und
Rebellionen gegen das Diktat der Fabrikanten. Ob der legendäre
Feilenhauerstreik in Remscheid oder die Barrikadenkämpfe in Cronenberg,
die Stürmung von Fabriken auch auf Solinger Gebiet und harte
Auseinandersetzung um Lohntarife: der von der Obrigkeit so oft
propagandistisch beschlagnahmte Bergische Fleiß war zugleich auch immer
ein Kampf ums nackte Überleben. Was nach Idylle aussieht, war oft
krankmachende Monotonie: Kälte, Staub, Dreck, Krach, Gestank,
Unfallgefahr und Dunkelheit im Kotten bildeten nicht gerade eine
Arbeitsplatz-Infrastruktur, die human genannt werden könnte. |
An ihrer eigenen Legende wob man wohl in Ohligs.
Solche germanischen Helden schienen vor knapp 100 Jahren genau das
richtige zu sein, um seine Verbundenheit mit der Natur
auszudrücken. |
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Ein Krankenhaus für Naturheilverfahren mag zwar
einmal in Ohligs geplant gewesen sein, es wurde jedoch nie errichtet. |
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