Texte von Alois Weber

POP, SHOW, POP-SHOW

Pop-Szene - was ist das? Passt so etwas überhaupt in eine Landschaft, in der die Wälder noch rauschen und wenigstens gelegentlich eine Nachtigall singt? Pop-Szene: Das riecht nach Liverpool, Detroit und Chicago, nach Jeans und langen Haaren, nach Underground, Protest und Entrüstung. Hält man es da nicht besser mit dem Bariton, der im vierten Satz der neunten Beethoven-Sinfonie sein "O Freunde, nicht diese Tone! ausruft?
Wir haben eine Jugendmusikschule, ein Jugend-Kammerorchester und genug Mgv. (Männergesangvereine), die um Nachwuchs verlegen sind. Wir haben ein Theater, einen Konzertsaal, eine Festhalle, einen Stadtsaal, ein Haus der Jugend - ganz abgesehen von den "singenden, klingenden Bergen", bitte schön! Brauchen wir da noch Pop-Musik und gar eine Pop-Szene?

 

Am Anfang war der Jazz

Ob wir sie brauchen oder nicht, wir haben sie. Bevor es die so genannte Pop-Szene gab, hatten wir in Solingen schon eine Jazz-Szene. Sie entstand in den fünfziger Jahren. Die Flower Street Jazz Men, die Jazz-Leute von der Blumenstraße, und die Sidewalk Wanderers zum Beispiel, von ehemaligen Humboldt-Schülern initiiert, hatten einen guten musikalischen Ruf. Hier und anderswo. Es gab einen Jazzkeller an der Ritterstraße und einen an der Saarstraße, es kam das Take Five, und es kam das Mumms. Es kamen internationale Größen des Jazz nach Solingen. Aber der Kreis der Jazz-Freunde war und ist besonders heute mehr ein Kreis für Spezialisten.

Ein Surfer antwortete: Daran kann ich mich gut erinnern. Unsere Familie kam 1958 von der damaligen Bundeshauptstadt dort hin. Meine damalige Bekanntschaft mit der Solinger Jazzszene im Gewerkschaftshaus war von der Qualität der musikalischen Darbietungen her genau das, was mich faszinierte: Bei den Flower Street Jazz Men fiel besonders der talentierte Sopransaxophonist aus der Blumenstraße auf. Klaus Doldinger mit seinen Feetwarmers, bei denen damals der spätere Minister Lahnstein die Posaune blies, waren damals zwar ein paar Nummern größer, aber das machte nichts. Ich empfand es damals als unverständlich, dass ich wegen meiner Jeans bei solchen Veranstaltungen von der Ansage übers Mikrofon angeödet wurde.
Freundliche Grüße von B. F.
 

Elvis, Beatles, Pop

Es wuchs eine ganz andere, eine ganz junge Generation heran. "Heulbojen" aus Amerika - Elvis besonders - ließen ältere Semester den Kopf schütteln; "Pilzköpfe" aus Liverpool, genannt "The Beatles", versetzten ganze Mädchen-Heerscharen in Ekstase. Erst drüben. Dann hier. Diskotheken wurden "erfunden", erst drüben, dann auch hier. In den Diskotheken ging man "auf Lautstärke" - lautstarke Klänge, gedämpftes Licht und möglichst einen etwas ausgefallenen Namen: So entwickelte sich die Pop-Szenerie seit den sechziger Jahren.
Die Pop-Szene breitete sich auch in Sälen aus, dort, wo die Bands spielten. Es war die Zeit, in der die Tanztees, auf denen zwar getanzt, aber nie Tee getrunken wurde, ihre Blüte hatten: die Zeit der Lonestars und des Promotion Soul Concern sowie vieler anderer Bands, die auf der Solinger Pop-Szene konkurrierten.
 

Mit Geräusch verbunden
 

Denn viele Bands unternahmen jetzt den Schritt vom Schallplatten-Auflegen zum Selbermachen. Es entstand eine neue Art von Hausmusik, obwohl die "Häuser" ein wenig strapaziert wurden. Was Wilhelm Busch nur ahnte ("Musik wird störend oft empfunden ..."), das wurde mit Hilfe von gezwungenermaßen notwendigen Verstärkern Wirklichkeit ("... weil sie meist mit Geräusch verbunden"). Alles gut und schön in schalldichten Beatkellern oder in alleinstehenden Pop-Schuppen, in Sozialwohnungen hingegen ist die urtümliche Kraft der Pop-Musik nicht praktizierbar. Das bereitete den Pop-Gruppen Kummer. Alte Fabrikgebäude, möglichst abgelegen, wurden für die Probeabende "aktiviert". Jugendheime wurden aus christlicher Nächstenliebe mindestens so lange bereitgestellt, bis sich die Nachbarn beschwerten. Alte Bunker konnten mit Pop-Musik einem friedlichen Zweck zugeführt werden. Mancher baute sich auch einen eigenen Keller - geräuschgedämpft zwar, aber für Sauerstoffzufuhr musste man schon sorgen! Es soll auch in guten Stuben von Einfamilienhäusern geprobt worden sein, wobei die Eltern für einige Zeit zur Schonung der Ohren das Haus verließen.

 

 

 

 

 

Improvisieren ist Trumpf

Natürlich ist Pop-Musik nicht so und so, sondern so oder so und so oder so oder wieder ganz anders. Darunter hatten die Bands zu leiden. Die Musikanten diskutierten über Musikstile, Arrangements, Richtungen. Man raufte sich zusammen oder ging auseinander. So gab es immer wieder neue Bands, neue Besetzungen, neue Namen. Jene Gruppe suchte einen neuen Organisten, die andere einen Sänger und eine dritte vielleicht nur einen Verstärker. Es wurde viel improvisiert. Und das ist eigentlich das Schöne an der Pop-Musik. Auch das Improvisieren mit Musikstilen und das Schaffen von immer wieder neuen Eigenkompositionen, an denen oft mehrere mitarbeiteten.
Pop-Musik wurde besonders aktuell, seit das Solinger Tageblatt zusammen mit dem Stadt-Jugendamt und dem Stadt-Jugendring Talentwettbewerbe durchführte: show '68, show '70, show '72. Beim ersten Versuch konnte man die Zahl der gemeldeten Bands noch an den Fingern einer Hand abzählen. Beim zweiten- und drittenmal meldeten sich jeweils anderthalb Dutzend Gruppen, die einen langen Nachmittag und einen langen Abend hintereinander um den Sieg spielten. Gruppen, die bisher nur im "stillen Kämmerlein" (man verzeihe den angesichts des harten Sounds gelinden Ausdruck) aus Spaß an der Freud zusammen spielten, nutzten ihre Chance, einmal und womöglich hinterher noch öfter an die Öffentlichkeit zu treten.
 

Arbeiter bei der Organisation einer "show"

"Crazy Schmilz" und "Schleifstein"

Wer zählt die Gruppen, nennt die Namen? Die Suche nach Namen grenzte ans Wunderbare. Englisch war bei Pop-Bands immer ganz große Mode, von "Jumping Underground" (Anno 68, als Underground stark gefragt war) bis "Brave New World" (Anno 70 und 72, als Rock und Blues und Rockblues das Feld beherrschten), von "yes" bis "The Avengers", von "Baeley Set" bis "Time Machine", von "Flaming Amber" bis "Careen The Queen", von "The Magic Influence Of The Electric Action" (der bisher längste Name einer Solinger Pop-Band) bis zu den "Strikers". Ab und zu gab es auch undefinierbare Namen, die ausschließlich Eingeweihten bzw. Aufgeklärten etwas sagten: "H.A.S.C.H.T.A." oder etwa "Mr. Firn". Andere machten "auf Latein" ("Sementis Dei"), wieder andere auf Griechisch ("Polydip Sie"); einige hielten sich an große Namen der Weltgeschichte ("Methusalem") oder an Sagengestalten ("Rübezahl"), und mit dem verrückten Schmitz ("Crazy Schmitz") kam auch der rheinische Adel zu Pop-Ehren. Hier und da aber besann man sich auch auf gute deutsche Worte wie "Eintopf" oder "Schleifstein". Auf der Solinger Pop-Szene standen allerdings nicht nur Bands. Auch Solisten machten sich einen Namen, beispielsweise die aus Schweden stammende Britt Malmkjell oder der Holländer Theodorus Kerk - beide Wahl-Solinger mit internationalen Verpflichtungen. Und auch aus den genannten Talentwettbewerben gingen junge Leute hervor, die ihren Weg im Musikgeschäft machen wollen, beispielsweise das Gruppensieger-Duo einer Show, Peter & Wolfgang.

 

 

Beim Surfen entdeckte Jochen Schaaf Teile seiner eigenen Biographie und schrieb mir:

Sieger der Show 72 war die Band Eintopf mit Martin Gerschwitz (keyboard), Torsten Linder (Drums),
Frank-Peter Fischer (Guitar) und mir als Sänger. Alle 4 entstammten der
Band "The Avengers" und damals waren noch Andreas Koch und Christoph Rohr
dabei.
Martin ist seit vielen Jahren Profi in USA (martingerschwitz.com) und hat
mit Eric Burton und vielen anderen getourt. Heute mit Iron Butterfly.
Seit einigen Monaten gibt es die "New Avengers". Die Band besteht aus
EINTOPF ohne Martin Gerschwitz, dazu Christoph Rohr aus der Ur- Avengers
Formation und ein neuer Solo Gitarist - Damir Klenner. Alte Leute machen alte Musik. Die alten Zeiten sind eben nicht tot zu kriegen."

Leider nicht an der Orgel zu sehen, der inzwischen legendäre Martin Gerschwitz. Dafür aber der Rest der "Eintopf"-Truppe, der alles andere als solchen präsentierte. Musiker von heue, angehende Möchtegern-Showstars, Technik-Freaks: wenn Ihr dieses Bild sieht, werdet Ihr nicht glauben, dass man gute, sogar sehr gute Musik mit ganz wenig Instrument und durchaus auch mit einfachen Verstärkern laut spielen kann. So sahen eben Boygroups "damals" aus !

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Nicht Deutschland, Solingen suchte den "Superstar" – wobei es nicht ums Casting, schon gar nicht um uneriöse Versprechungen mit irgendwelchen Verträgen und Berühmtheits-Garantie ging, sondern um sportlich-fairen Wettbewerb. Zu wissen, dass man besser ist als andere war Preis genug – und die Jury war fair genug, das Gute deutlich und Mittelmäßiges eben auch nur durchschnittlich zu bewerten. Wenn nicht, gab's gellende Pfeifkonzerte im Saal.

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Pop mit Zukunft?

 

 

 

 

Kerstin Ehmke, melancholisch-sensible Siegerin bei der Show 84 in der Kategorie Solo-Gesang, hat zwar keine unmittelbare Gesangskarriere gemacht, ist aber dieser Passion mit viel Engagement treu geblieben.

Was tut sich auf der Solinger Pop-Szene heute? Schwer zu sagen. Vieles kommt spontan. Manches ist im Wandel. Werden Rock und Blues und Rockblues noch gefragt sein, wenn zur "show '74" "geblasen" wird? Wir werden es sehen. Oder besser: Wir werden es hören. Denn die Pop-Szene bleibt. Vorerst wenigstens. Auch wenn wir uns Watte in die Ohren stecken.

 

Britt Malmkjell, Solinger Showsängerin aus Schweden, hat in Solingen Fuß gefasst und über viele Jahre das Publikum mit ihrer Stimmkraft begeistert.