|
Selbstbild |
Ist das Bild, das man von sich selbst entwirft, das Profil, das
man zu erreichen trachtet, oder spiegeln Selbstreflexionen das eigene
Vorurteil über sich selbst wieder? Kognitionswissenschafter, Psychologen
und Kommunikationsfachleute mögen sich darüber streiten, die Stadt
Solingen hat längst in tutto eine Antwort darauf gegeben: Sie präsentiert
sich so, wie sie glaubt, sich präsentieren zu müssen, damit sie gelobt,
geachtet und bewurdert wird.
|
Immer wieder sieht man die Bilder des fleißigen
deutschen treuen unermüdlichen Facharbeiters, der die Welt beglückt: Mit
Gabeln und Schwertern, Zigarrenabschneidern und Messern, Korkenzieher und
Hirschfängern, Suppenkellen und Klappmessern, Storchenscheren und
Rasierklingen, Stiletten und Friseur- oder Schneiderscheren,
Kastrierzangen und Brieföffnern. Und hunderten anderer Nützlichkeiten
mehr. Dafür lebt - und stirbt! - der Solinger Facharbeiter gerne. |
|
Denn die Wahrheit ist anders als das Mythos. Weil
sich in der geballten Konkurrenz nur Qualität zu Niedrigstpreisen
durchsetzen konnte, wurde zu wenig Geld verdient - oder entwickelte sich
kein Bewusstsein - für Ästhetik und Infrastruktur, Arbeitsschutz und
Sicherheit. Noch bis vor wenige Jahrzehnte (heute ist dies definitiv
anders) waren Kotten und Fabriken stinkende Drecklöcher, voller Dämpfe
und Stäube, dunkel und kracherfüllt, mal eisig kalt und mal glühend heiß.
Sich in realtiv jungen Jahren "kaputtgearbeitet" zu haben, war normal,
der Job "ging auf die Knochen". |
Herrliches Idyll? Der Beweis der Umweltzerstörung
ist dieses Foto, denn von Wuppertal kommt eine Schaumbrühe herangebraust,
die die Wupper bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts zum absolut
toten Fluss gemacht hat. Damals noch von der Wupper als lieblichem Fluss
zu schwärmen war Augenwischerei hoch zehn.
|
|
Solche Behelfswege über die Wupper beweisen, mit welchen Low-Budgets die
Arbeiter auskommen mussten. Da waren weder Zeit noch möglicherweise Lust
(Bewusstsein), vielleicht auch nicht die Erfahrung und die Fachleute, um
sich "vernünftige" Anlagen zu leisten. Auch die Art und Weise des
Transportes - per Menschenkraft, nicht per Pferd und Wagen - beweist,
dass der Broterwerb sicherlich oft kaum die Armutsgrenze überschritten hat. |
Stadtwerbung 1954: "In Solingen ist
alles anders. Vergeblich wird man nach Industriestadtteilen suchen. Es
gibt keine. ... Neben den wenigen großen Betrieben treten die übrigen im
Bild der Stadt nicht sehr in Erscheinung. ... Jedoch kündet die Waffen-
und Bestecksammlung im Deutschen Klingenmuseum vom Fleiß vieler
Generationen. ... Diese Stadt gehört zu den am schönsten gelegenen
westdeutschen Großstädten ... durchzogen von grünen Tälern, die voller
Naturschönheiten sind, ein Tatsache, die man bei einer Industriestadt von
Weltruf nicht ohne weiteres voraussetzt. ... In den Jahren nach dem Krieg
wurde die Altstadt nach modernen Gesichtspunkten wieder aufgebaut. ...
Frohes Schaffen gehört seit Jahrhunderten zu den bergischen Menschen;
Geselligkeit und Gastfreundschaft sind ihnen angeboren." |
|
Alle Bilder dieser Seite entstammen diesem Prospekt:
Herausgeber: Städt. Verkehrsamt Solingen
Graph. Gestaltung: Groß - Odenthal, Solingen
Photos Carlfred Halbach, Ratingen
Klischees: Otto Contius, Solingen-Wald
Druck: Hermann Ullrich, Solingen
1954; Auflage 60.000 |
Was wollten die Urheber des Stadtprospektes, immerhin mit einer immensen
Auflage, eigentlich mit diesem Bild ausdrücken? Normalität? Wenn ja,
welche Normalität? Modernität? Shopping als Wohlstands-Beweis? Schwer
nachzuvollziehen, was die Wertigkeiten waren, die vor 50 Jahren das
Denken beherrschten. |
|
Der Mühlenplatz (Blick auf das heutige Gebäude der Dresdner Bank, rechts
Kaufhof) |
Diese beiden Autos, der
Cabrio-Porsche und der stattliche Mercedes, tauchen auf mehreren Bildern
des Prospektes auf. Vordergründiges Bemühen, Wohlstand (Weltstadt?!) zu
symbolisieren? Die drei Grazien laufen mit Sicherheit nicht zufällig
durchs Bild. Solingen, die Stadt der hübschen Frauen. Paris des
Bergischen Landes! |
|
Ohligs, Nähe Wilhelmplatz |
Da schaut er nun zufrieden auf sein Solingen herab.
Der autowandernde Otto Normalsolinger, sein neu erworbenes (mmh, für das
Photo gemietete) DKW-Cabrio auf dem Hohlenpuhler Weg abgestellt (eine der
schönsten legal zu befahrenen Solinger Nebenstraßen; sonn- und feiertags
gesperrt). |
|
Ortschaft Wippe |
|
|
|
Apropos Selbstbild: aus Leserbriefen stelle ich
fest, dass Solinger vor allem über andere Solinger lachen können, wenn
sie nicht (mehr) in Solingen wohnen. Wer hier zum Wohnen verdammt ist,
findet gar nicht lustig, wenn man sich über ihn lustig macht. Aber sollte
man dafür die spitze Feder stumpf machen? |
|
|
|
|