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Stadtspaziergang |
Ob Solingen - heute - eine Stadt zum Bummeln, zum
Spazierengehen ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Sicherlich ist
ein Schaufensterbummel zuweilen reizvoll. Immer mehr Menschen sagen
jedoch, es gäbe immer weniger zu sehen. In Zeiten der allgemeinen Raffgier
und Discount-Mentalität fällt auch der Informationsbummel an den Sonntagen
vor dem Ausverkaufsbeginn hin, zumal dieser wohl auch bald nicht
existiert. Spazierengehen kann man in Solingen vor allem stadtnah grün,
das ist zweifellos eine der größten Vorteile der Stadt. Und eben in
Gedanken, in nostalgischen Rückblicken. Als die Stadt noch optisch
heimelig, wohnlich aber bis zur Unbequemlichkeit eng war und sie sich
einen nicht zu leugnenden Charme bewahrt hat, der heute noch an einigen
unzerstörten Szenerien oder in recht vielen Straßen phantastisch
renovierter Häuser zu sehen und zu spüren ist. By the way: was in Solingen
alles renoviert wurde, wie schön und liebevoll, ist nirgendwo zentral
gewürdigt - und schon gar nicht zum Nachlesen im Internet. Wer sollte es
auch tun, dat kost doch Jeild ... !
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Keine Luftaufnahme im heutigen Sinne, sondern ein
Blick vom Turm der ev. Stadtkirche ist dies. Das Gebäude mit der
Backsteinwand stand auf der Brunnenstraße. Der Stadtplan-Ausschnitt unten
zeigt die Lage des Hauses und den Standort des Fotografen bei der
Aufnahme auf die Kirche (unten). Michael Tettinger, laut Ausweis nach dem
WW2 geboren, hat die Perspektiven identifiziert (er kann rückwärts
hellsehen). |
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Nahe des Marktplatzes parkt ein LKW. Man stelle sich
vor, Solingen wäre nicht zerbombt worden und die Häuser erhalten: was
wäre wohl dann aus der Stadt geworden? Ein Museumsdorf? Wäre die
Innenstadt abgerissen, "modernisiert" worden? Wären die Häuser wirklich
noch bewohnbar, auch mit intensiven baulichen Veränderungen? Wie wollte
man wirklich Möbel anliefern? Käme hier die Feuerwehr durch? Theoretische
Fragen zwar, aber dennoch einmal interessant, zu Ende zu denken. |
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Einen netten Stadtspaziergang bietet die
Stadtbibliothek an - als Buch. Unter der Ausleihnummer 83456779 kann man
sich ein arg abgegriffenes Bändchen holen, das zu bekannten Orten führt,
aber jede Menge interessanter Erklärungen zur Hand hat.
Ein Projekt der Wirtschaftsjunioren Solingen e.V. in
Zusammenarbeit mit dem Rheinischen Industriemuseum Außenstelle Solingen
und dem Initiativkreis City-Management Solingen e.V.
Gestaltung; kogag
Bremshey & Domning GmbH
vermutlich 1995 Das Bild zeigt die Eröffnung des
Kaufhaus Leonhard Tietz (heute Kaufhof-Gebäude) am 13. 3. 1929. Um 15.30
sollen 10.000 Solinger darauf gewartet haben, dass 700 Brieftauben
aufstiegen. Tietz war übrigens schneller als die Amerikaner:
Woolworth eröffnete erst 1930 an der Hautpstraße. |
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Das Buch erinnert noch einmal daran, was in einem
alten Stadtplan zwar klar wird, aber inzwischen aus dem Bewusstsein
verschwunden ist: Solingen ist eine "Wall-Stadt", war im Mittelalter von
einem Wehrwall umgeben und damit befestigt. Erst um 1800 wurden die
ersten Steinbauten errichtet. Einst waren, berichtet dieses Buch, die
innenstädtischen Bereiche von Werkstätten und Fabriken besiedelt und erst
nach Fertigstelltung der "Fernstraßen" auf den Höhenrücken des späteren
größeren Stadtkreises Solingen verlagerten sich diese Industriestädten
nach außerhalb der eigentlichen Innenstadt. Doch nicht erst der
Bomenterror veränderte die Stadt grundlegend, sondern schon voher war
eine "Modernisierung" so stark, dass vor dem 2. Weltkrieg wohl um zwei
Drittel der ursprünglichen Substanz verloren war.
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Hier entlang zu wandern, so die Empfehlung dieses
Buches, erschließt die heutige Solinger Innenstadt mit durchaus
historischen Bezügen. Das kann man auch heute, mehr als 20 Jahre nach
Erscheinen des Buches, noch genau so nachvollziehen.
Allerdings ist eine gewisse Eile geboten, denn der
Graf-Wilhelm-Platz, einst Verkehrs-Herz der Stadt, soll umgestaltet
werden. Doch ausbleibende Fördermittel könnten dieses Projekt wieder
gefährden. Und dass der Mühlenplatz nun völlig anders aussieht und mit
den Clemens-Galerien überbaut wurde, daran hat man sich als
Selbstverständlichkeit längst gewöhnt. |
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Der Fronhof (siehe Plan oben Nr. 1) gilt als die
Keimzelle der Stadt. Heute ein nicht allzugroßer, aber freier Platz, war
er einst dicht bebaut. Das Wort Fronhof bedeutet frei übersetzt Herrenhof
(Fron hat im Laufe der Zeit eine andere Bedeutung bekommen). 1303 ist der
Hof urkundlich erwähnt und dürfte schon einige Zeit dort existent gewesen
sein. Von 1363 bis 1803, eine ungewöhnlich lange Zeit, gehörte er dem
Zisterzienser-Kloster Altenberg. Im 19. Jahrhundert war das Haus eine
Gaststätte. Der Fronhof war übrigens auch Gerichtsstatt. Im 9./10.
Jahrhundert entstand auf dem unmittelbaren zum Fronhof gehörenden Gelände eine Saalkirche, der
Ursprung der heutigen ev. Stadtkirche. Um 1200 wurde eine dreischiffige
Basilika gebaut.
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Ein Fronhof war im Früh- und Hochmittelalter das herrschaftliche und
wirtschaftliche Zentrum eines Verbandes von Höfen. Die Höfe lagen oft
weit verstreut, so auch im Solinger Bereich. Im Fronhof (andernorts auch
Villa [später noch im Volksmund: „hochherrschaftliche Villa“] genannt,
der Hofverband hieß auch Villikation) residierte der Verwalter (der
Meier). Die Angliederung einer Kirche ist typisch. Die Höfe lieferten an
den Fronhof Gut und/oder Geld und die Bauern waren zu Diensten auf dem
Fronhof verpflichtet (daher der Begriff „Frondienst“ im Sinne von Straf-
oder Zwangsarbeit). Den Ursprung hat das System im Frankenreich des 7.
Jhdts. Im ausgehenden Mittelalter, etwa ab dem 14. Jahrhundert, lösten
sich Fronhofverbände auf. Sie wurden von Dorfbildungen in ihrer Bedeutung
abgelöst, aus denen sich je nach lokalen Umständen auch Städte
entwickelten, in denen Handwerk zu Hause war (wie eben auch in Solingen). |
Vielleicht tue ich jemanden bitter unrecht. Aber
mir ist nicht bewusst, ob jemanden in dieser Stadt überhaupt bewusst ist,
dass diese metallene Halbkugel, von den Kindern als Kletterkugel heiß
geliebt (hier zum Zöppkesmarkt 2003) tatsächlich fast metergenau den
Ursprung Solingen symbolisert. Sie steht nämlich mitten auf dem
ehemaligen Fronhof (siehe oben) und könnte daher durchaus die Bedeutung
annehmen, sie sei die "Keimzelle" der Stadt. Das eignet sich doch
wunderbar zur Legendenbildung (Vorschlag rechts). |
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Einst flog ein mächtiger Vogel durch die Luft geflogen
und ließ über einem Bergrücken, nicht weit von den Wupperbergen, ein
riesiges metallenes Ei fallen, dass in den Boden schlug. Die Leute kamen
und staunenten und überlegten, welch Zeichen ihnen hier gesetzt worden
sei. Und sie fanden, dass sie fortan hier eine Stadt gründen und sich der
Eisenverarbeitung widmen sollten. Und da sich die Kugel hier verankert
hatte, nahmen sie den Anker ins Wappen und erklärten St. Clemens zum
Schutzpatron der Stadt und sie schmiedeten so eifrig und könnerhaft
Schwerter, dass die Mächtigen der Welt nur noch Solinger Klingen
kreuzten. Und so fügten sie auch diese gekreuzten Schwerter ... na ja,
den Rest der Geschichte kennen Sie ja.
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Echte und wunderschöne Spaziergänge lassen sich
übrigens mit der "Wanderweg-Reihe" des Rheinischen Industriemuseums
planen und durchführen. Da erfährt man Interessantes und Amüsantes zu
vielen Häusern, an denen man beim Rundgang vorbeikommt. Vor allem für
Solinger ein Tipp, die Stadt mit neuen, wachen Augen zu sehen. |
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Landschaftsverband Rheinland
Rheinisches Industriemuseum
Klartext-Verlag, Essen, 2000 |
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