Walter Scheel

Vierfach ist die Erinnerung an ihn: als energischer Politikgestalter in der "Goldenen Ära" der Bundesrepublik, der sozialliberalen Koalition Brandt-Scheel; als smarter Bundespräsident mit Gigolo-Appeal; als bürgerlicher Normalo mit dem Solinger Urtrieb, laut und fröhlich zu singen; und schließlich als intensiver Partylöwe nach seiner aktiven Politiker-Karriere. Dass der Mann aus Solingen kommt, hat sich rumgesprochen. Und dass er ein typisch Solinger ist, beweist seine Vitae: bergisch-unstet, höhscheiderisch-dickköpfig, solingerisch-umgänglich.

 

Walter Scheel

1919, 8. Juli geboren in Solingen-Höhscheid als Sohn eines Stellmachers
1938/39 Abitur an der Schule Schwertstraße,  Ausbildung zum Bankkaufmann in Solingen.
1939-1945 Soldat
ab 1945 Geschäftsführer in verschiedenen Industrieunternehmen.
1946 Eintritt in der FDP.
1948 Stadtverordneter in Solingen.
1950 Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen.
1953 Abgeordneter im Deutschen Bundestag, Mitglied des Landesvorstandes der FDP in Nordrhein-Westfalen; Gründung eines Wirtschafts- und Marktforschungsunternehmen in Düsseldorf
1955 Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in Luxemburg
1956 Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.
1958 Mitglied des Europäischen Parlaments in Straßburg,  Vizepräsident der Liberalen Fraktion, Vorsitzender des Ausschusses für Entwicklungshilfe
1961 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Kanzler  Adenauer und Erhard)
1966 Rücktritt aller FDP-Minister aus der Regierung Erhard, Sturz der Regierung
1967 Vizepräsident des Deutschen Bundestages
1968 Bundesvorsitzender der F.D.P.; Vizepräsident der Liberalen Weltunion
1969 Bundesaußenminister und Vizekanzler (Kanzler Willy Brandt); Atomwaffensperrvertrag, Ostverträge
1969 Scheel heiratet in zweiter Ehe Mildred Wirtz. Seine erste Frau war 1966 nach 24 Jahren Ehe verstorben. Mildred Scheel ist Initiatorin und Präsidentin der Deutschen Krebshilfe. 1985 stirbt Mildred Scheel an Krebs
1970 Zusammen mit Bundeskanzler Willy Brandt unterzeichnet Scheel den Moskauer Vertrag
1971 Als erster deutscher Außenminister zu einem offiziellen Besuch in Israel
1972 Scheels verwirklicht die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und der Bundesrepublik
1973 Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1974 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland; Scheel auf Schallplatte: Hoch auf dem gelben Wagen
1976 Scheel verweigert in seiner Funktion als Bundespräsident die Unterzeichnung des Gesetzes zur Abschaffung der Gewissensprüfung bei Wehrdienstverweigerern
1977 Karlspreis der Stadt Aachen
1979 Ehrenvorsitzender der F.D.P.
1988 Heirat mit Barbara Wiese
bis heute lebt Walter Scheel mit seiner Frau in München

 

Das Horoskop von Scheel. Das mag nun deuten, wer kann oder will. Geburtsort Solingen, 10.30 Uhr, 8. 7. 1919, Sternzeichen Krebs

Vielleicht ist ihm die Vernunf ja in die Wiege gelegt. Oder die Sangeskunst.

1974, kaum Bundespräsident, spielte er zusammen mit einem Düsseldorfer Männerchor (warum kein Solinger?) den Gelben Wagen ein, der es als Benefiz-Schallplatte bis in die Charts brachte. Wer nachsingen will, hier der Text:

Hoch auf dem Gelben Wagen sitz ich beim Schwager vorn.
Vorwärts die Rosse traben, lustig schmettert das Horn.
Berge Täler und Auen, leuchtendes Ährengold.
Ich möchte in Ruhe gern schauen, aber der Wagen der rollt.
Ich möchte in Ruhe gern schauen, aber der Wagen der rollt.

Flöten hör ich und Geigen, lustiges Bassgebrumm,
junges Volk im Reigen, tanzt um die Linde herum.
Wirbelnde Blätter im Winde, es jauchzt und lacht und tollt.
Ich bliebe so gern bei der Linde, aber der Wagen der rollt.
Ich bliebe so gern bei der Linde, aber der Wagen der rollt.

Postillion in der Schenke füttert die Rosse im Flug,
schäumendes Gerstengetränke reicht uns der Wirt im Krug.
Hinter den Fensterscheiben lacht ein Gesicht gar hold.
Ich möchte so gerne noch bleiben, aber der Wagen der rollt.
Ich möchte so gerne noch bleiben, aber der Wagen der rollt.

Sitzt einmal ein Gerippe hoch auf dem Wagen vorn,
hält statt der Peitsche die Hippe, Stundenglas statt Horn.
Sag ich Ade, nun ihr Lieben, die ihr mitfahren wollt.
Ich wär so gern noch geblieben, aber der Wagen der rollt.
Ich wär so gern noch geblieben, aber der Wagen der rollt

 

Merke: ins Studio geht man korrekt gekleidet mit Schweißtuch und Nelke im Knopfloch

Anlässlich seiner Wahl gab es ein Gedenkblatt - Hersteller und Initiator heute nicht mehr zu ermitteln. Die Bundesrepublik war gerade 25 Jahre alt geworden. Er, Scheel, hatte einen maßgeblichen Anteil an der seinerzeitigen Form (um nicht zu sagen Blüte) der BRD. Klugerweise verzichtet er auf eine zweite Amtszeit und hielt sich damit aus weiterem Gemäkel und Gezänke heraus und genießt seit Ende seiner Politik-Karriere frisch, fröhlich, frei ein angenehmes Leben ohne zu darben.

So gesehen war die Wahl auch ein Wenig Lokal-Historie: Pünktlich zur 600-Jahr-Feier wurde ein Solinger Bundespräsident. Man nennt dies wohl Timing.

Poststempel 19. Mai 1974
Solingen, 565