Zöppkesmarkt 2004

An diesen 3 tollen Tagen ist alles anders in Solingen. Tausende Auswärtige kommen in die Stadt, in den Straßen der Solinger Innenstadt herrscht Kirmesatmosphäre, alle haben sich lieb und trinken ein Bier zusammen, die meisten outen sich, Pferdewürstchen-Fan zu sein und so gut wie alle kaufen irgendwas, was sie weder brauchen noch benutzen werden. Hauptsache, es hat Spaß gemacht. Doch schauen wir uns einmal abseits aller Klischees um und machen uns ein paar Gedanken ...

 

Das Traurige vorweg: Regenradar zur besten Zöppkesmarkt-Zeit.

 

 

Kirmensflair in der Stadt. Unter grünem Blätterdach reihen sich die Buden nicht mehr so dicht wie früher, aber dafür mit teureren, kalorienreicheren oder nutzloseren Angeboten, die jedoch, wer will es wem verdenken, lustvoll-unkontrollierten Absatz finden.

 

 

 

 

 

Und nicht nur Kinder sagen sich zu recht: endlich geht's mal wieder rund in Solingen - und bunt dazu zu.

 

Zöppkesmarkt, das ist vor allem, wenn Erwachsene wieder zu Kindern werden und ihre Ess- und Trinklust hemmungslos ausleben. Selbst vernunftbegabte Frauen können da dem Naschen nicht mehr widerstehen. Das sieht die Polizei natürlich nicht gerne und beobachtet das Treiben scharf. Da dieser Polizist ein begabter und erfolgreicher Krimi-Schriftsteller ist, kann man sicher sein, dass der Roman "Mord auf dem Zöppkesmarkt" (Titelschutz ist hiermit angemeldet) davon handelt, wie jemand vom Schokolodenspieß durchbohrt hinter dem Bierstand von Britannia 09 genau unter dem Denkmal der Lewerfrau aufgefunden wird ... doch davon später.

 

Da man auch in Solingen an Personal sparen muss und die Anzahl der Polizeibeamtinnen und -beamten nicht erhöht werden kann, wird für die Regelung des Fußgängerverkehrs auf der unteren Hauptstraße dieser hilfreiche Kerl, der Tirwelspitter eingesetzt. Er macht klipp und klar, in welche Richtung es geht: rauf und runter. Na dann, gut zöpp.

 

Traditionsgemäß nehmen auf dem Zöppkesmarkt die Parteien den gewerblichen Betrieben Kunden und ihren Gästen Geld ab. Die SPD füttert ess- und zahlungswillige Wähler mit Kuchen. Das Dokumentarfoto beweist: Genau die Plätze, die bei der SPD belegt sind, bleiben beim Gewerbesteuerzahler leer.

 

 

 

 

Dass sich derweil der ehemalige Parteivorsitzende und charismatische Motivator für viele, die der SPD bei- und später ausgetreten sind, als Trödel wiederfindet, tut der roten Laune keinen Abbruch. Immerhin wusste Stadtrats-Fraktionsvorsitzender Ernst Lauterjung auf Anhieb, dass das Godesberger Programm aus dem Jahre 1959 stammt, konnte aber zwischen Kaffee und Kuchen kein solches als nostalgisch nicht mehr gültiges  zum Feilschen anbieten. Darum sei, nicht trotz, sondern wegen der Symbolik des Vergänglichen, an und auf einem solchen Markt an einen der wichtigsten Kernsätze des Godesberger Programms erinnert, an dem Willy Brandt maßgeblich mitwirkte:

Das ist der Widerspruch unserer Zeit, ... daß der Mensch die Produktivkräfte aufs höchste entwickelte, ungeheure Reichtümer ansammelte, ohne allen einen gerechten Anteil an dieser gemeinsamen Leistung zu verschaffen.

Noch nie war diese Einsicht wichtiger und richtiger als heute, 45 Jahre später.

 

 

 

Einfach hat es dagegen dieses Jahr die CDU. Unter der Flagge ihres OBs und dessen Motto "Franz schafft ..." beschränken die sich darauf, den Bürgern - nein, nicht die Butter VOM Brot zu nehmen, sondern ihm ein Butterbrot zu streichen.

Die Frage, ob Hartz-IV-Besoldete in der Lage sind, Kuchen und Butterbrot zu bezahlen, fragt sich und öffentlich dieser Stammgast, der auch dieses Jahr wieder eine deftige Packung abbekommen hat. Allerdings nicht von schwarz, sondern von rot.

 

Der Herr links gibt öffentlich zu Protokoll: Seit Jahren sage ich denen, wenn Eure Politik so gut wäre wie Eure Butterbrote, dann könnte man Euch richtig lieb haben. Es hat den Anschein, er begnügt sich auch weiterhin mit dem Lob für die eingepackte Mahlzeit.

Ja, da schaut der Erlöser trostlos aus dem Karton und der Becher mit Weihwasser bleibt ungefüllt. Wenn der CVJM, C steht für christlich, Jesus als altes Gerümpel verkauft, wer will sich dann noch wundern, wenn es mit dem Glauben in dieser Stadt nicht mehr weit her und nämlich hin ist ...

 

 

Als absolute kulturelle Bereicherung muss die TG Burg gewertet werden, die unter Begleitung eines ungemein talentierten Tuba-Bläsers (zirka jeder zehnte Ton konnte als in der ansatzweise richtigen Tonlage eingestuft werden) für das wiederholte Absingen der Bergischen Nationalhymne sorgte. Für alle, die nun in Gedanken mitsingen wollen, hier der Text noch einmal im Original, wie er auch von den talentierten Künstlern ins Ohr des malträtierten Vorbeikommenden geschmettert wurde.

 

Eine kross geröstete Pferdewurst und ein leckeres Alt. Kann die Welt schöner sein als auf dem Zöppkesmarkt?

 

Als kritischer Beobachter stellt man sich doch da die Frage, ob hier nicht zwei Wettbewerber mal schnell noch absprechen, ob der Preis gesenkt werden soll oder danach Ausschau halten, ob noch schnell ein Pferd geschlachtet werden könnte. Und für geschmackskritische Zeitgenossen, so den Alex W., ist es durchaus eine Frage religiöser Dimension, ob man die Pferdewurst von Heinzmann oder Jacobs Isst. An sich, bekennt Alex W., wäre er ja Heinzmann-Fan. Aber, so gesteht er, in diesem Jahre sei er auch fremdgegangen, pferdewurstmäßig.

 

 

Sehen und gesehen werden ist beim Zöppkesmarkt fast noch wichtiger als alles andere. Wer sich im Schatten der Lewerfrau niederlässt, direkt an der Kirchtreppe, der hat die privilegierte Aussicht auf alle und alles, was da hinauf- und hinunterschrankelt.

 

 

 

Und wie dat so is in Solig, der eine kickt herop, die angeren heraff.


 

 

Als der Zöppkesmarkt noch neu und sensationell war, hieß eine der Grundideen, den Erlös für gemeinnützige Zwecke zu spenden. So waren dutzende Vereine und Clubs aktiv, von denen nur wenige übrig geblieben sind. Inzwischen, die Ellbogen-Gesellschaft lässt grüßen, sind die Erlös-Verwendungen direkter geworden: Reinerlös geht an mich selbst. Nicht, dass dies unerlaubt, unerhört, unmoralisch wäre. Es ist nur schade, dass das andere, die soziale Komponente, immer weniger wird, gleichwohl es noch lobenswerte und sehr engagierte Beispiele dafür gibt.

 

 

Was den Erwachsenen verwehrt ist, ist den Kindern vorbehalten: sich auf eisglatter Stahlkugel behände nach oben zu bewegen und die Welt aus der höheren Warte zu betrachten. Dass man dann rongerlitschen kann (hinunterrutschen, für Nichtsolinger), ist dann das größte der Vergnügen. Und ein kostenloses dazu.

 

 

Man weiß ja nie. Entweder sind die Beinchen so kurz oder das Angebot der Hangkgeschmedden, dem Solinger Mundartdichterverein, so interessant, dass man es sich ganz genau besehen möchte. Kann natürlich auch sein, dass die sich das in einer Kirche abgeguckt haben, wo es ja das Sünderbänkchen gibt, auf das man sich sich knien muss. So, wie die Bank dort aufgestellt ist, würde sie sich doch gut dazu eignen, ein Stoßgebet zu sprechen: "Lew Herjott, vergew ennen, se weïten nit, wat se donn söllen". Und ich bin sicher, sie werden finden, das sei aber nun ganz falsch geschrieben und keiner außer ihnen dürfte es überhaupt. Weil sie mir neulich schrieben, sie wären nicht sicher, ob man im Internet überhaupt über Vereine was schreiben darf und erst recht über sie. Vergaßen aber zu erwähnen, ob in huhdütsch oder platt. Trotzdem: es ist einer der besten und wertvollsten Vereine, die wir in der Stadt haben. Wenn es sie nicht gäbe, man müsste sie erfinden.

 

 

 

Dass in Solingen die Zeit stehen geblieben ist, nimmt man keinem am Zöppkesmarkt übel. Schon vor Jahrhunderten hat sich dieser Schlieper auf den Weg gemacht und ist die Wupperberge hinauf geklommen, nur um einmal im Leben beim Zöppkesmarkt dabei zu sein. Und in Athen soll die Olympiade 2004 schon vorbei sein? Kann ja sein, aber in Solingen nicht. Hier üben sich die 3000er schon mal in der Disziplin  Hohlhammernageln und haben offensichtlich die Medaille verliehen, bevor der Wettkampf zum Höhepunkt kam.

 

Werbung ist alles, sagte sich diese junge Dame, die am Stand für gegrillten Bauch (korrekt müsste es sogar heißen Schweinebauch, aber das wäre ja angesichts dieser liebreizenden Wohlstandswölbung nur zu gemein) hilfreiche Dienste leistet. Positiv ist jedenfalls, dass sich die gesamte jüngere und auch Teile der geschrumpelten Damenwelt gegen die Regierung auflehnt. "Gürtel enger schnallen" heißt es vom Kanzler aus Berlin. Und was tun die Frauen? Den Gürtel tiefer schnallen. Wenn das nicht mal politisch ein brisanter Protest ist !?!