Die FAZ druckt eine Rede ab, die halten dem Redner
vorenthalten wurde. |
Ungehaltene Rede
Von Dr. h.c. Ludwig Poullain
15. Juli 2004 Statt sich mit der herrschenden Lehre der
öffentlich-rechtlichen Bankinstitute zu befassen, wollte der 84 Jahre
alte ehemalige Chef der Westdeutschen Landesbank bei einem Festakt am
vergangenen Freitag lieber über den Sittenverfall im deutschen Bankwesen
sprechen - wozu es nicht kam. Wir dokumentieren die ungehaltene Rede
eines ungehaltenen Mannes.
Eigentlich hätte ich zum Thema "Landesbanken im Wandel der Zeiten" zu
Ihnen sprechen sollen - und auch gerne sprechen wollen. Doch dann wäre
ich kaum umhingekommen, mich mit der herrschenden Lehre der
Öffentlich-Rechtlichen streitbar auseinanderzusetzen. Und dies hätte zum
Frevel an diesem hohen Feiertag werden können.
So wählte ich "Bank und Ethos", im Glashaus sitzend - habe ich doch
selbst einmal in diesem Gewerbe gegen die Gebote des Ethos verstoßen, war
darum auch angeklagt, zwar vom Kadi freigesprochen, dann jedoch meinem
eigenen Urteilsspruch unterworfen. Ich hatte gefehlt. Und ich fand es
gerecht, daß ich dafür meinen Tribut zu zollen hatte. So fühle ich mich
frei, frei genug, die gegenwärtige Szene kritisch zu beurteilen. Dennoch
werde ich mich hüten, allzu dicke Steine in die Hand zu nehmen; jedoch
werde ich auch nicht nur Sandkörnchen gegen die Glasscheiben werfen.
Es geht mir nicht um aktuelle Ereignisse - auch wenn ich Begebenheiten
als Beispiele für moderne Verhaltensnormen nennen werde. Das Thema ist
zeitlos. Bereits mit der Gründung der ersten Bank war es akut. Zum
Einstieg wähle ich den öffentlichen Auftrag - nicht den, den die
öffentlich-Rechtlichen für sich beanspruchen, sondern den an die gesamte
deutsche Kreditwirtschaft gerichteten Öffentlichen Auftrag, die Bürger
dieses Landes mit ihren Dienstleistungen zu versorgen, und dies in
redlicher Art.
Redlich: welch schönes altes deutsches, welch treffendes Wort. Es
beinhaltet Ehrlichkeit, Offenheit, Beflissenheit, Bereitwilligkeit, es
bedeutet, gleichermaßen zu dienen wie zu leisten.
Schon vor mehr als 200 Jahren hat Kant den Bankdienstleistern die
moralischen Verhaltensnormen hierfür vorgegeben: "Man darf sich bei
Vergehungen gegen die Redlichkeit niemals auf die Schwäche der
menschlichen Natur berufen; denn in der Redlichkeit kann man vollkommen
sein." Kant unterstellt also bei einer Verletzung des Gebotes der
Redlichkeit den Vorsatz. Somit hat er damals bereits Knebelungsverträge,
Zinswucher, Übervorteilung, Ausnutzung von Unwissen, Verführung
Unkundiger, Mißbrauch von Macht gegenüber Abhängigen und was es auf
diesem Gebiet noch an weiteren Unarten geben sollte, unter sein
moralisches Verdikt gestellt.
Ob neben erfolgreichem Wirtschaften auch moralische Prinzipien das Denken
und Handeln eines in einer Bank Verantwortlichen leiten sollten, vor
diese Frage fühlte ich mich erstmals gestellt, als Ende der sechziger
Jahre die Schlagworte "Macht der Banken, Machtmißbrauch durch die Banken"
zu aktuellen Themen wurden.
"Die Banken verfügen über eine große Macht. Sie wird im stillen ausgeübt.
Also ist sie unkontrollierbar. Darum verführt sie zum Mißbrauch", so
lauteten die Thesen der damals Jungen und Wilden (heute bekleiden sie
Ämter wie, beispielsweise, das des Bundeskanzlers). Sie forderten mehr
Kontrolle über die Banken und, in ihrer Konsequenz, dann auch deren
Verstaatlichung. Was macht man, wenn man so attackiert wird? Man
entrüstet sich gebührend.
Aber war es nicht wirklich Ausübung von Macht, über Kreditlenkung auf
Industrie und Wirtschaft Einfluß zu nehmen, war es nicht stille
Gewaltanwendung, in den von uns Bankleuten durchsetzten und bestimmten
Aufsichtsräten die Richtung zu bestimmen?
Die Attacken gegen die Macht der Banken wurden dann auch von Politikern,
denen andere Mächtige neben sich dulden zu müssen lästig ist, allzugern
aufgegriffen. Was ihnen jedoch mehr mißfiel, war das in den Banken
angesammelte umfassende Wissen über die wirtschafts- und
finanzpolitischen Zusammenhänge in unserem Land und die Bereitschaft,
dieses Wissen den Bürgern ungeschminkt zur Kenntnis zu bringen, also
fundierte Kritik zu üben. Solche Äußerungen trafen die Regierenden an
empfindlicher Stelle. Denn es ist schon etwas grundlegend anderes, wenn
gebündelter Sachverstand kritisch spricht, als wenn eine Opposition alles
negiert, was eine Regierung sagt, macht oder unterläßt.
Als ich von dem damaligen Ministerpräsidenten meines Landes - der schon
vor geraumer Zeit verstorben ist - aufgefordert wurde, als Chef einer
öffentlich-rechtlichen Bank, an der das Land Nordrhein-Westfalen
maßgeblich beteiligt sei, kritische Äußerungen gegenüber der
Wirtschaftspolitik des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt zu
unterlassen, fühlte ich mich weniger in meinen Rechten beeinträchtigt als
vielmehr an der Ausübung meiner Pflichten gehindert.
So habe ich ihm dann geantwortet, daß er als Politiker das Grundgesetz,
in dem mein Recht auf freie Äußerung meiner Meinung verbrieft sei,
sicherlich besser kenne als ich. Was jedoch die Wirtschafts- und
Finanzpolitik beträfe, fühlte ich mich als einer der Bestinformierten in
unserem Lande. Wenn dann also ein Journalist mir eine Frage stellte,
deren Beantwortung ich als wichtig ansähe, so würde ich es auch in
Zukunft als meine Pflicht und zu meinen Aufgaben gehörend ansehen, diese
mit öffentlicher Wirkung zu beantworten. Seine Replik: "Dann ist das
Tischtuch zwischen Ihnen und mir zerschnitten." Das war dann so und blieb
auch so.
Seit jeher ist es unbequem, eine eigene Meinung zu haben; noch
beschwerlicher kann es werden, wenn man sie auch von sich gibt. Der
letzte unserer Zunft, der die hierzu nötige Courage noch aufbrachte, war
Alfred Herrhausen. Seitdem äußern sich die Sprecher der Vorstände lieber
nicht mehr öffentlich kritisch zu Fragen der Wirtschaftspolitik. So
können sie sich des Wohlwollens der Mächtigen sicher sein. Ersatzweise
werden Chefvolkswirte zum unverbindlichen Talk ins Fernsehen entsandt.
Meines Erachtens gehört es aber zu den ethischen Pflichten der
Bankherren, ihr Wissen und ihren kritischen Sachverstand zur Aufklärung
schwieriger wirtschaftspolitischer Zusammenhänge zum Wohle der Bürger,
die diese Vorgänge nicht zu deuten vermögen, offenzulegen, auch wenn sie
damit den Regierenden auf die Füße treten und diese ihnen darob ihr
Wohlwollen entziehen.
Wir alle bewegen uns in der Strömung unserer Gesellschaft; dabei können
wir uns von ihr treiben lassen, oder aber wir können uns ihr
entgegenstemmen. Die Banken dümpeln träge mitten im Strom. Mich als
Methusalem aus dem vergangenen Jahrhundert erschreckt, wie radikal und in
welch hohem Tempo sich die Normen unserer Gesellschaft ändern - ich
empfinde dies als moralischen Zerfallsprozeß.
Anders als der 1945 aus dem Krieg heimkehrende geschlagene Soldat P., der
es als Glück empfand, die Fesseln der Staatswirtschaft gegen die
Freiheiten, die ihm der Kapitalismus bescherte, eintauschen zu können und
sich darum auch seinem Land verpflichtet fühlte, nehmen sich die meisten
Mitglieder unserer Gesellschaft nicht mehr als wesentliche Bestandteile
unseres Staates wahr. Sie sind von Fördernden zu Fordernden geworden.
Diese Denkungsart hat auch das einst hochangesehene Bankgewerbe erfaßt.
Auch dort haben sich Wertmaßstäbe verschoben. Selbstverständlich nicht so
derb und vordergründig wie im gemeinen Volke, sondern vornehm und auf
hohem Niveau. Man nutzte in der Wirtschaft, also nicht nur bei den
Banken, die Veränderungen auch als Chance, sich elitär zu gebärden.
Noch nicht fällige Vertragsverlängerungen für Vorstände an einem Abend
vor einer Hauptversammlung, auf der gravierende Fehlprognosen zur
Diskussion standen, zu beschließen wird aktienrechtlich korrekt gewesen
sein. Aber es war auch: instinktlos, taktlos, hoffärtig und arrogant. Daß
einer aus unserer Branche hieran maßgeblich mitgewirkt hat, verletzte das
Ethos unserer Zunft.
In Düsseldorf stehen einige Herren der Wirtschaft, darunter auch ein
Banker, vor dem falschen Gericht. Denn die im Strafgesetzbuch stehenden
Texte können den Kern der Handlungen nicht werten. Kant: "Der Gerichtshof
ist im Innern des Menschen aufgeschlagen", und "Handle so, daß die Maxime
deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten könne".
Es entspricht den Standards unserer Gesellschaft, daß sie das Geld, das
verteilt worden ist, in das Zentrum ihrer Kritik gerückt hat. Doch nicht
die Höhe der Beträge bemißt das Übel. Das liegt vielmehr in der Art, wie
die Herren die Sache gemacht haben und als ihr Recht betrachten, so
gehandelt zu haben: Wie sie mit ihren vor der Brust verschränkten Armen
den Einzug des Gerichts erwarten, dieses Bild tut weh.
Uns in der Wirtschaft täte Demut zu empfinden, und sie mitunter auch zu
zeigen, gut. Wir müssen nicht mit dem Kopf unter den Armen herumlaufen,
aber ein Gespür dafür entwickeln, was in den Gemütern derer vorgeht, die
nicht auf der Sonnenseite rechtssicherer Dienstverträge leben. Wir sind
Pharisäer, wenn wir nur immer wieder auf den Mißbrauch sozialer
Sicherungsinstrumente hinweisen, anstatt unser eigenes Tun selbstkritisch
zu betrachten. Selbstkritische Gedanken scheinen einem Bankherren heute
nicht mehr angemessen; das eigene Tun in Frage zu stellen - ich meine:
vor sich selbst, nicht gegenüber dem Aufsichtsrat -, erscheint ihm als
zinsloser Aufwand. Dabei hatten und haben wir so viele hervorragende
Vorbilder!
Wenn ich sage, die heute in den Banken Handelnden seien
stromlinienförmiger geworden, könnte das falsch verstanden werden: als
meinte ich, sie hätten die Fähigkeit erworben, sich schneller den
Herausforderungen zu stellen. Doch ihre windschlüpfige Form nutzen sie
lieber dazu, sich solchen Verpflichtungen zu entziehen. Ist es nur
Lässigkeit, wenn sie sich scheinbar unbedacht über die Kreditwürdigkeit
ihrer Kunden äußern? Hätte sich ein Hermann Josef Abs, der seinen Namen
mit der ihm von uns Zeitgenossen zugestandenen Arroganz zu buchstabieren
pflegte: "A wie Abs, B wie Abs, S wie Abs", jemals dafür hergegeben, über
einen Kunden Kreditschädigendes zu sagen?
Auch zu seiner Zeit hätte er einen Anlaß finden können, mit einer
kundenschädigenden Aussage der eigenen Bank einen Vorteil zu verschaffen.
Aber eher hätte er einen materiellen Nachteil hingenommen, als die
ethische Maxime, das Bankgeheimnis wie ein Beichtgeheimnis zu wahren, zu
verletzen. Heute dagegen scheinen Mächtige unserer Zunft nichts
Anrüchiges mehr dabei zu finden, wenn sie scheinbar beiläufig in einem
fernen Land vor einer laufenden Fernsehkamera einem ihrer Kunden, der
ihrer Zunft nicht nur durch Kreditvertrag, in dem gegenseitig
Stillschweigen vereinbart worden war, verbunden ist, sondern der sich,
wenn der Grundsatz von Treu und Glauben noch gelten sollte, ihr
anvertraut wähnte, Schaden zufügen - um danach von sich zu geben, sie
hätten nichts von Bedeutung gesagt. Indem ein in unserer Branche
Herausragender sein Wissen auf diese Weise öffentlich machte, verletzte
er die zwar ungeschriebenen, aber bis dahin noch gültigen Gesetze unseres
Gewerbes. Nun sind sie Makulatur.
Ich frage: Wie will die deutsche Kreditwirtschaft ihre an den Gesetzgeber
gerichtete Forderung, das Bankgeheimnis nicht anzurühren, begründen, wenn
einer ihrer Repräsentanten es derart verletzt hat? Die Bank wurde wegen
Verletzung des Kreditvertrages in zwei Instanzen zur Leistung von
Schadenersatz verurteilt. Da eine Revision nicht zugelassen wurde, wählte
sie den Weg der Nichtzulassungsbeschwerde. Es galt erst einmal, Zeit zu
gewinnen. Lange Fristen haben den Charme, Unangenehmes undeutlich werden
zu lassen. Eine solche Taktik ist zwar nicht unbedingt ehrenhaft, aber
bequem und wirksam.
Es gibt Vorgänge, die nicht verjähren, weil ihr moralischer Kern nicht
verwittert.
Vor ziemlich genau zehn Jahren wurde der Peanut, der Wert einer Erdnuß,
neu erfunden. Danach betrug er rund 50 Millionen Deutsche Mark. Doch das
ist nicht mein Thema. Mich beschäftigt die Reaktion des Erfinders auf die
massive Kritik, die ihm nach der Verkündigung seines Satzes
entgegenschlug: "Mich verblüfft schon, mit welcher Vehemenz und
Uneinsichtigkeit auf uns eingeprügelt wird", sagte er und fuhr fort: "Wir
haben niemandem geschadet außer uns selbst." Diese Aussage gibt nebenher
Auskunft darüber, wem nach Meinung des Bankvorstandes die Bank gehört:
ihm, selbstverständlich ihm, dem Vorstand, und nicht etwa den Aktionären.
Dieses "Wir haben niemandem geschadet außer uns selbst" ist so unwahr wie
unredlich. Ethos der Banken? Wollten sie sich mit diesem Nimbus umgeben, müßten die Leute an ihren Spitzen zunächst einmal danach trachten, ihre
Köpfe mit einem anderen Geist zu füllen. Sie müßten ihre Instinkte und
ihr Denken wandeln. Und dann auch noch den Untergebenen, deren Motivation
sich im schnellen Geldmachen erschöpft, andere Wegmarken einpflanzen -
auch ihren Investmentbankern. Doch selbst für Herakles, der die Erde von
ihren Unholden befreite und sich klaglos allem Schlimmen beugte, wäre
diese Aufgabe wohl zu schwer.
Ich maße mir nicht an, die herrschenden Verhältnisse zu ändern. Ich will
nur etwas an sie rühren. So spreche ich nur von den Pflichten der
Bankherren. Sie alle, wir alle sind unserer Gesellschaft gegenüber zu
redlichem Handeln verpflichtet. Unsere Aufgabe ist es nicht, Waren zu
produzieren und sie zu vertreiben. Wir sind Treuhänder. Die Bürger
unseres Staates haben uns wesentliche Teile ihres von ihnen erarbeiteten
Vermögens anvertraut. Dieses Vertrauen kann nur gerechtfertigt werden
durch die Erfüllung der Pflicht, die Werte nicht nur sicher anzulegen,
sondern auch mit einem höchstmöglichen Bonus auszustatten.
Diese Pflicht eines Verwalters fremder Vermögen hat eine andere Maxime
als etwa die Pflicht eines Vorstandes eines Büromaschinenherstellers.
Mich dünkt, daß an die Stelle der Pflicht, seine eigene Person, oder,
falls vorhanden, seine Persönlichkeit, sich selbst mit Geist und Haut und
Haaren in seine Aufgabe einzubringen, die Unverbindlichkeit gerückt ist.
An die Stelle des sich auch dem Wohle dieses Landes verpflichtet
fühlenden "Bankiers" ist der "Banker" getreten.
Was den Unterschied zwischen einem Bankier und einem Banker ausmacht? Der
Bankier war ein vornehmer Mann, kein Vornehmtuer, er war also ein Herr,
der die Kunst und die Geduld des Zuhörens beherrschte und so souverän
war, seine eigene Meinung durch das, was er aufnahm, zu korrigieren. Er
räumte den Ratgebern Zeit ein, und er nahm die Sorgen derer, die sich ihm
anvertrauten, ernst. Er war kein Mann des schnellen Geldmachens, sondern
suchte seinen Nutzen in der Beständigkeit einer Beziehung.
Ein Banker dagegen ist ein globaler Universeller. Er weiß nicht nur
alles, er weiß auch alles besser; etwa von Abläufen in Produktion und
Versand, von Forschung und Entwicklung, also von Dingen, von denen er von
Haus aus nur wenig wissen kann. Hat er sich einmal eine Meinung gebildet,
steht sie unverrückbar fest. Sie ist nicht mehr diskutierbar. Am liebsten
verkehrt er nur unter Gleichgekleideten. Gepflegte Tischsitten und
strikte Beachtung der Regeln der Etikette gelten ihm als Ausdruck
hochentwickelter Kultur.
In den letzten zwanzig Jahren haben an der Spitze der Banken vier- bis
fünfmal die Generationen gewechselt. Die heute sind um nichts schlechter,
als wir, die Verflossenen, es waren. Nur anders sind sie. Den Herren der
Neuzeit ist die Fähigkeit oder der Wille abhanden gekommen, sich mit
ihren Institutionen zu identifizieren. Nannte man etwa in den siebziger
Jahren den Namen Ponto, so nannte man damit gleichzeitig den Namen seiner
Bank. Der Mann an der Spitze machte sich mit seiner Bank eins. Höre ich
Ackermann, fallen mir Globalisierungswut und schwyzerischer Erwerbssinn
ein, letzterer jedoch nur in verfremdeter Form. Ackermann ist dabei, die
Identität der Bank, die einen stolzen Namen trägt und, dies bekenne ich
gerne, für mich in meiner aktiven Zeit immer ein Vorbild für
Abgewogenheit im Denken und Tun war, für immer und ewig wegzugeben. Auch
der Herr Bundeskanzler hat auf dem letzten Sparkassentag in Frankfurt mit
der staatsmännisch klingenden Formulierung, mit Fusionen "endlich in die
Strümpfe zu kommen", diese Politik für gut und richtig erklärt, wobei er
es nicht unterließ, den Landesbanken seinen speziellen Rat zu geben, aus
ihrem runden Dutzend nur noch drei zu machen - als ob Fusionen in die
Horizontale die einzig wahren wären. Nur wer in die Tiefe bohrt, stößt
auf Brunnen. Glaubt der Bundeskanzler, glauben die Banken, daß die bloße
Addition von Bilanzsummen und Eigenkapital auch zu größeren Leistungen
führen wird? Ob sie, als in der Schule die Differentialrechnung gelehrt
wurde, gefehlt haben?
Ich denke, daß die Identität der Deutschen Bank mehr wert ist als ihre
sonstigen stillen Reserven. Ich denke auch, daß sie alle Dienstleistungen
und Finanzierungen, die von ihr gefordert werden, in hervorragender
Qualität zu erbringen in der Lage sein wird, auch, oder vielmehr gerade
dann, wenn sie bleibt, wie sie ist, nämlich allein. Bliebe als Grund für
Fusionen dann noch die Furcht vor dem unbekannten großen Dritten, der
Feindliches plant. Gibt es ihn überhaupt, oder malt man nur ein Gespenst
an die Wand, um Verständnis für nicht Verstehbares zu erwecken? Mein
Eindruck ist, daß die Aktionäre sich mehr als die Mitglieder ihres
Vorstandes mit ihrer Bank identifizieren.
Vor geraumer Zeit veranstaltete die philosophische Fakultät meiner
heimischen Universität eine Veranstaltungsreihe, die sich mit dem
Verhalten verschiedener Gruppen in unserer Gesellschaft beschäftigte.
Unter anderem auch mit den Banken. Im Veranstaltungskalender stand zu
diesem Thema: "Das Mißverhältnis zwischen hohen Kreditzinsen auf der
einen Seite und niedrigen Sparzinsen auf der anderen Seite ist von
Millionen von Bankkunden zwar als Ärgernis, aber bisher doch
stillschweigend hingenommen worden." Dieses Phänomen ist so alt, daß ich
es sogar noch aus meiner aktiven Zeit kenne. Der terminus technicus der
Bankensprache dafür lautet: "Zinsunempfindlichkeit der Sparer".
Zu dem Satz von der Verhältnismäßigkeit des Kreditzinses zum Sparzins
fand ich bei Kant Entsprechendes. Er erzählte ein Beispiel von einem
Krämer: Ein Kaufmann berechnet die Preise für seine Ware und entschließt
sich, ehrlich zu sein. Er will seine Kunden, ob sie nun unerfahren sind -
dies gilt, das füge ich ein, in der Regel auch für Sparer - oder ob es
sich gleich um Kinder handelt, nicht übers Ohr hauen. Eine solche
Handlung geschieht noch lange nicht aus Pflicht, so behauptet Kant,
sondern sie ist "pflichtmäßig", äußerlich nicht von derselben Handlung
aus ehrlichen Grundsätzen heraus zu unterscheiden. Warum? Kant fährt
fort: Weil es sein kann, daß der Kaufmann aus Vorteilsdenken ehrlich ist,
damit ihm die Kunden nicht davonlaufen. In diesem Fall geschieht seine
Handlung in Wahrheit aus eigennütziger Absicht.
Die Banken braucht die Sorge des Krämers, daß ihm die Kunden, wenn er sie
denn übers Ohr hauen sollte, davonlaufen, nicht zu plagen. Selbst wenn
ein nicht "zinsunempfindlicher" Sparer alle Banken am Platz abklappern
und die in den Kassenräumen aushängenden Konditionen miteinander
vergleichen würde, er wird kaum etwas Besseres als das finden, was ihm
seine Hausbank seit eh und je bietet.
Marktgerechte Zinsen seien dies, erklärt der Kundenberater jeder Bank
seinem durchaus zinsempfindlichen Sparer. Oder doch nicht eher ein
stillschweigendes Kartell? Ich kann nur festhalten, daß es seit langer
Zeit auf diesem Sektor kaum noch Wettbewerb gibt. Leider haben die
Sparkassen dazu ihren Beitrag geleistet, da sie freiwillig ihre
Preisführerschaft aufgegeben haben. Dies scheint nun die Postbank zu
übernehmen. Ob sie dafür einen öffentlichen Auftrag beansprucht?
Wir Deutschen werden sparen, fürderhin und immerdar. Die Sparer haben
sich schon seit langem damit abgefunden, daß ihnen ihre Einlagen, ziehen
sie die Inflationsrate ab, kaum noch eine reale Verzinsung bringen.
Dennoch, sie lassen die Einlagen stehen. Sie sind ihre Sparstrümpfe für
Unvorhergesehenes. So wurden selbst Spareinlagen mit täglicher Fälligkeit
zu Dauerleihgaben der Sparer an die Banken. Mit ihnen läßt sich lässig
wuchern. Sogar weltweit.
Für Kant war die "Maxime" ein Prinzip des Willens, "unangesehen der
Zwecke, die durch solche Handlungen bewirkt werden können". Die Maxime
hat auch Eingang in die Bankersprache gefunden, als "Gewinnmaximierung".
Den Gehalt des Wortes "Maxime" total zu verkehren und dann zum Maß aller
Dinge zu machen kann nicht nur Gedankenlosigkeit sein. Dies ist auch
Ausdruck der Gesinnung. Gewinnmaximierung zum Hauptziel des
geschäftlichen Tuns zu erklären bedeutet die Verletzung der ethischen
Pflichten des Unternehmers. Zudem ist es dumm, die Gewinnmaximierung zur
Maxime zu machen, weil sie kein belastbares Fundament einer
Unternehmenspolitik sein kann.
Doch warum sollte eine Bank der eigenen Profitgier Grenzen ziehen, wenn
das Motto "Bereichert euch" ohne moralische Hemmungen öffentlich
gepredigt werden kann? Warum moralisch sein, solange die Unmoral nicht
mit dem Handelsgesetzbuch und dem Strafgesetzbuch kollidiert? Warum also
Gutes tun, wenn Böses tun so einträglich ist? Elementare Fragen sind oft
am schwersten zu beantworten.
Es ist aus meiner Sicht nur konsequent, wenn sich die Banken den
moralischen Rahmen ihres Handelns selber gebastelt haben: daß sie sich
alles erlauben können, was nicht ausdrücklich verboten ist. Daß auch
wirtschaftliches Denken und Handeln nicht wertneutral ist, scheint sie
nicht zu beschweren.
Um nicht mißverstanden zu werden, füge ich ein: Auch für mich ist
selbstverständlich, daß der Zweck wirtschaftlichen Handelns der Erfolg,
das Ergebnis ist. Das Tun oder das Unterlassen der Verantwortlichen wird
in Euro oder Dollar gemessen. Ihre Fähigkeiten, ihr Fleiß oder ihre
Trägheit finden in nackten Ziffern ihren angemessenen Niederschlag. Dies
ist auch darum wichtig, weil am Erfolg die Erhaltung und Entwicklung der
Substanz eines Unternehmens und die Wohlfahrt der Eigentümer und
Beschäftigten hängen. Aber auch erfolgreiches Wirtschaften schließt die
Frage nach der Methode nicht aus, mit der die Ergebnisse erzielt wurden.
Nicht nur die Glaubwürdigkeit der Bankvorstände wird beschädigt, die alle
naslang mit einer neuen Erklärung über die Ziele ihrer Unternehmen der
gerade vorausgegangenen widersprechen; ihre flinkzüngige Wendigkeit läßt
auch Stetigkeit und Sicherheit, somit auch Solidarität und Redlichkeit
vermissen. Nehme ich solche in ihren Inhalten rasch wechselnden
Äußerungen wahr, so beginne ich darüber zu rätseln, ob sich der Sprecher
gründlich genug mit den Problemen seines Unternehmens auseinandergesetzt
hat oder ob die gerade vorher von ihm verkündete Politik Mißerfolge zu
bringen droht. Oder ist er nur ein munter von Ast zu Ast hüpfender
Zaunkönig?
Ethos der verboten - gibt es das? Gibt es ein Ethos der Handwerker, der
Rechtsanwälte, der Mediziner? Die Gründungsväter der Handwerker-Innungen
haben sich Standesregeln gegeben, deren Ansprüche sich zuerst gegen sie
selbst richteten. Aber ist aus dem "Gott schütze das ehrbare Handwerk"
nicht inzwischen ein "Gott schütze uns davor" geworden? Die Mediziner
haben sogar ihr eigene Eidesformel, die hippokratische. Doch unabhängig
von den ethischen Pflichten, die sie damit auf sich laden, haben sich
nicht wenige von ihnen einen eigenen Gott gekürt, Hermes, den Gott der
Anlageberater und Abschreibungsakrobaten. Doch ich habe es nicht mit den
moralischen Kriterien von Klempnermeistern oder Dermatologen zu tun, ich
habe mich mit denen der Bankherren auseinanderzusetzen. Auch darum, weil
ich mich selbst betroffen fühle; schließlich bin ich ein gelernter
Bankkaufmann.
Unsere Altvorderen haben keine Standesregeln zu Papier gebracht. Wir
schwören auch keine Eide. Aber dürfen wir dennoch, ohne Schamgefühl zu
empfinden, ethische Grundsätze für den eigenen Gebrauch ausschließen -
so, als würden diese nur für andere, etwa unsere Kreditnehmer, gelten -
und uns dafür lieber der Gewinnmaximierung widmen?
Die Soziale Marktwirtschaft ist nicht nur der Generator unserer
Gesellschaftsordnung, sie ist auch ihr moralisches Korsett. Gerade das
letztere gilt auch dann noch, wenn ich werte, daß die Marktwirtschaft
immer noch das Substantiv und das Wörtchen "soziale" nur das Adjektiv
ist. Nicht die mit ihr Unzufriedenen - weil sie zu wenig Soziales abwirft
- noch die sie kritisierenden Werteverbesserer können sie gefährden; dies
vermögen allein die in ihrem Zentrum Agierenden, wenn sie nicht endlich
die Balance zwischen ihrem Eigennutz und der Verantwortung, die sie für
unser Land tragen, finden.
Darum, ihr Bankleute, wartet nicht, bis die Tide kippt und sie euch zu
neuen Ufern trägt. Schwimmt schon jetzt los, gegen den Strom dieser Zeit.
Erforscht euch einmal selbst, wischt euch den Puder von der Backe, achtet
weniger auf euer Image als vielmehr auf das Standing - das eurer Bank
ebenso wie das persönliche. Sagt, was ihr denkt, tut, was ihr sagt. Öffnet eure Gesichter.
* Der Verfasser ist Bankkaufmann. Poullain stand von 1868 bis 1977 an
der Spitze des WestLB und war zwischen 1967 und 1972 auch Präsident des
Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.07.2004, Nr. 163 / Seite 9
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Pecunia non olet, Geld stinkt nicht. Das mag sein. Aber auf die Herren
des Geldes sind inzwischen viele stinksauer.
Vergessen sollte man auch nicht, dass Poullain selbst in zahlreiche Dinge
verwickelt waren, die in der öffentlichen Berichterstattung als
Manipulation bis hin zur Bestechlichkeit gewertet werden. Schmeißt da
jemand im Glashaus mit Steinen? |