Handsatz

Zeilensetzmaschinen wurden etliche gegen Ende des vorvergangenen Jahrhunderts erfunden, die von Ottmar Mergenthaler (Linotype) setzte sich durch. Doch diese Maschinen wurden erst in Zeitungen und Verlagen eingesetzt, erst sehr viel später auch für Satzarbeiten anderer Art. Damals gab es (auch in Solingen) Maschinen- bzw. Lohn-Setzereien, die für "normale" Druckereien (die nur Handsatz hatten) den Mengensatz herstellen. Ein lukratives Geschäft, die haben verdient "wie Sau". Bis in die Fotosatzära, d. h. ungefähr bis 1990, haben sich etliche davon als Fotosetzereien noch erhalten. Heute sind diese Betriebe praktisch vollständig ausgestorben. Die Qualität des Handsatzes entsprach früher meist der Bezahlung bzw. dem zu erzielenden Profit an einem Auftrag. Da wurden Zeile um Zeile, Seite um Seite "gekloppt", die Setzer wurden früher nach geschaffter Menge bezahlt, erst später nach festen Stundenlöhnen.

 

Der Meister selbst höchstpersönlich nach der Erfindung seines handgegossenen Desktop-Publishing-Systems mit der bleiernen Maus (oben) und beim Typenguss (mitte)

Sie werden vielleicht fragen: was hat denn solch ein satztechnischer Fachteil in dieser Solingen-Domain zu tun? Ganz einfach. Die Wahl des Bürgermeisters und anderer Bürgerschaftsvertreter fand jährlich am 24. Juni statt. Das ist der Johannistag. Und der wurde und wird auch in Erinnerung an Johannes Gutenberg, Erfinder der bleigegossenen beweglichen Lettern, gefeiert. Johannistag ist Gutenbergtag. Wenn das mal kein Omen ist für die Solinger Bürgermeister ! :-)

Die Bibel des Gutenbergmuseums in Mainz

 

Ein 1637 von dem Solinger Kirchmeister Hans Ollich für seine Schwerter benutztes Erbzeichen zeigt einen Mann, der Gutenberg sein könnte. Oder können Sie das Gegenteil beweisen? Nein, denn die Ähnlichkeit ist so verblüffend, das kann kein Zufall sein.  Vielleicht kommt ja "Gutenberg" von Berg, Bergisch Land ! Vom Guten Berg, eine Bewunderung der Mainzer für die Region der Schwertschmiede. Wie der Määnzer so sächt: vom guden Bärch. Ja, so wird es gewesen sein ! Das erklärt auch, warum die Herkunft Gutenbergs in/aus Mainz bis heute falsch gedeutet wird. "Johann Gensfleisch zu Gutenberg" ist eine missliche Übersetzung der Mainzer Mundart und des Satzes, man würde ihn vielleicht aus dem tollen Bergischen kennen: den "genn's v'loich aus guden Bärch", wenn er anderen vorgestellt wurde.
 

Anhand dieser Seite aus einem Heimarbeitertarif lassen sich die Merkmale von Handsatz und Buchdruck hervorragend erkennen. Und vor allem die Fehler, denn die sind, so kurios es klingt, immer das sicherste Zeichen für echte Handarbeit, in diesem Falle eben Handsatz. Dieser Seite kann man schon von weitem ansehen, dass sie in einer "gewöhnlichen" Druckerei gefertigt wurde, bei der die Menge Priorität vor Qualität hatte, so wie dies außerhalb spezieller Druckereien oft üblich war.

 

Im Folgenden Fehler und Charakteristika unter die Lupe genommen und kurz beschrieben.

 

 

In großen Schriftgraden waren nicht alle Sonderzeichen vorhanden. Hier in dieser im Original 20 Punkt großen Schrift eben nicht das 1/2. Es musste "nachgebaut" werden. Die 1 und 2 aus einer 9 Punkt Schrift, einmal hoch und einmal auf 20-P-Kegel gestellt und eine halbfeine Linie dazwischen.

 

Für uns kurios die Schreibweise "polirt" anstatt "poliert". Rechtschreibereform hat es also schon viele gegeben, nicht nur die total verunglückt vor einigen Jahren.

Eine Besonderheit der sog. "gebrochenen Schriften", den Frakturen (auch "deutsch" genannt) waren die Ligaturen; Buchstaben zusammengezogen: ch, ck, st (mit dem Lang-s), ft, fft, fl, fi und andere.

 

 

Üblich waren bis vor dem 2. Weltkrieg noch Wortzwischenräume vor dem Seminkolon oder dem Doppelpunkt; bei aller klassischen Literatur der vorigen Jahrhunderte findet man dies.

 

 

Typisch für den Handsatz und sein Schließen in der Druckform, wenn der Setzer nicht sauber gearbeitet hatte, sind die nicht stimmigen Anschlüsse der einzelnen Linien.

Hier ist sogar ein schwerer handwerklicher Fehler zu sehen: die obere (Kopf-)Linie hätte nicht an der Stelle einer senkrechten Linie zusammengesetzt erden dürfen; der Setzer hätte eine andere Linien-Stückelung verwenden müssen (was aber oft nicht möglich, weil keine vorhanden war).

Und noch ein Fehler:
schmaler/weniger:
und
breiter/mehr:
sind nicht "auf Mitte" gesetzt.
Pfui !

 

 

Na, bei diesen Linien waren schon einige Korn getrunken, oder? Ein absolut sicheres Zeichen dafür, dass der Setzer den Satz nicht ordnungsgemäß augeschlossen, das heißt mit den richtigen Materialstücken "auf Breite" gebracht hat. Mit ziemlicher Sicherheit hat er auch die Regeln des Tabellenbaus beim so genannten Blindmaterial, den nicht druckenden Teilen, missachtet. Diese Verschiebungen sind ganz typisch, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Für solch eine Arbeit sollte es Ohrfeigen geben. Eigentlich.

 

 

 

Und dann sind auch noch fehlerhafte, beschädigte Linien verwendet worden. Typisch für Setzereien, bei denen das Material wirklich ausgenutzt wurde bis zum "Gehtnichtmehr".

 

 

Hier eine sehr korrekte Anwendung einer anderen Linien-Regel: Anschlüsse bei dicht nebeneinander liegenden Linien werden versetzt gestückelt (fette Mittellinie oben, feine Linien rechts und links jeweils unten aneinandersetzt, auch die Symmetrie ist richtig).

 

 

Trennungen wurden früher nicht mit dem kurzen Trennstrich (Fachausdruck: Divis) gemacht (wie heute, der auch gleichzeitig als Bindestrich verwendet wird), sondern mit dem auch in geraden Schriften meist schräggestellten sog. "Ist-Strichen".

 

 

Hirschhm. = Hirschhornmesser

Preise wurden ohne Komma geschrieben, an Stelle des heute üblichen Komma steht ein Drittelgeviert, d. h. ein Blindmaterial in der Breite eines Drittels der jeweils verwendeten Schriftgröße (hier 3 Punkt einer 9-Punkt-Schrift).

Beim ersten 3 - handelt es sich wahrscheinlich um einen Fisch (siehe unten).

 

 

Da haben wir ihn also erwischt, den Herrn Kollegen von vor weit über 100 Jahren.
Bei der 2 von 7½ handelt es sich um einen Fisch. Fische sind Buchstaben im glatten Satz oder in der jeweils verwendeten Schrift entweder einer falschen Größe oder aus einer anderen Schrift. Die 2 entstammt einer kursiv.
Bei 12  ist die 1 der Bruchzahl ebenso ein Fisch, diesmal ein halbfetter. Was ein Beweis dafür ist, dass die Bruchziffern "zusammengebastelt" wurden, also keine kompletten Typen sind, sondern aus einzelnen plus Blindmaterial bestehen sowie einen anderen Kegel einnehmen.

Ein Fisch, oder ?

Na bitte, ein astreiner Zwiebelfisch! Das erste e ist ein falscher Schriftgrad und eine falsche Schrift.

 

Und damit dieser Zwiebelfisch nicht so allein bleibt, ist gleich noch einer auf der Seite: das untere Wiederholungszeichen ist aus einer falschen Schrift und falscher Schriftgröße.

(Im Übrigen: während in tabellarischer Form nicht ein Punkt bzw. Komma als Trennung von Mark und Pfennig benutzt wird, geschieht dies sehr wohl im Fließtext.)

 

 

Und noch ein Flüchtigkeitsfehler, der unbedingt dem Korrektor hätte auffallen müssen: nach dem gesperrten Wort "ohne" ist der Buchstabenabstand zu gering (nur ein Viertelgeviert wie beim Sperren, der Buchstabenabstand hätte ein Drittel- oder Halbgeviert sein müssen.)

 

 

Wie "abgenudelt", schon oft benutzt die verwendete Handsatzschrift war, zeigen diese vier Fünfen untereinander: jede anders beschädigt bzw. abgequetscht.

 

 

Wiederum eine Kuriosität in der Satzweise: während durchgängig (bis auf das M-, Mark-Zeichen) eine Fraktur benutzt wurde, wird die lateinische Wortabkürzung cm in einer Antiqua gesetzt. Früher, bis vor den 2. Weltkrieg, haben die Menschen, die in sog. deutscher Schrift schrieben, Namen von Personen ebenfalls in lateinischen Buchstaben geschrieben.

 

 

Auch in der Zeitung: alles Handsatz.

 

 

2005 wird Fritz Odenthal, Gewerbe-Oberlehrer, 90 Jahre alt. Generationen von Schriftsetzern hat er in Solingen den Weg zu handwerklicher Solidität und Gespür für Gestaltung gewiesen. Streng war er im Unterricht, pedantisch, aber niemals ungerecht. Für Odenthal war der Beruf des Setzers eben mehr als nur ein Job: er wollte, der Begriff sei, wenn auch altmodisch, erlaubt, Liebe zum Beruf, zum Handwerk, zu Schrift, zu Typografie anregen. Und es ist ihm, sagen viele, gut gelungen. Glückwunsch!

(Erübrigt sich wohl von selbst hinzuzufügen, dass ich auch bei ihm gelernt habe.)

ST 12. 06. 2005

Mit dem Solingen-Schriftzug, dem neuen Logo der Stadt, hat er sich in den Annalen verewigt.