Lesen und Schreiben

Was nützt das Schreiben und Drucken, wenn es keiner liest? Büchereien waren über Jahrhunderte nicht nur der Ausdruck von Wissens-Macht und Wissenschaft, sondern vor rund 100 Jahren beginnend auch der Stolz des sog. Bürgertums. Noch in den 60er Jahren war die eigene Bibliothek im Wohnzimmerschrank ein Prestigeobjekt, auch wenn alle Bücher aus dem Lesezirkel stammten. Und die ganz belesenen Solinger gingen und gehen in die Stadtbücherei. Die heute vielleicht noch am besten ihren Zweck erfüllende öffentliche Einrichtung der Stadt überhaupt.

 

1964 war Lesen und Bildung noch lobenswert. Und die Menschen glücklich, wenn sie ein Buch geschenkt bekamen.

Ich bin mir nicht sicher, ob das gleiche Prinzip, wenn auch modernisiert, mit Spielekonsolen funktionieren würde.

 

Monika Stahlberg und Ursel Ullmann werden als fleißige Leserinnen ausgezeichnet. Es muss sich gelohnt haben, Ursel Ullmann war lange Jahre Stadtmeisterin in Steno (in Mally Jansens Stenoverein natürlich), und Monika Stahlberg heiratete einen späteren Journalisten. Na also. Lesen lohnt.

 

 

Da steh' ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;

Geflügelte Wort aus Faust I

 

Aus wohl keinem anderen Stück der deutschen Literatur wird so oft direkt oder indirekt, wörtlich  oder sinngemäß zitiert wie aus Faust I, dem zentralen Drama von Johann Wolfgang Goethe.

 

Es ist vielleicht das beste, was deutsche Dichtung hervorgebracht hat, zumindest ist es ein guter Schlüssel zu "typisch deutscher" Denk- und Sichtweise. Vielleicht eben deshalb trifft Goethe mit manchem Satz, der zum Geflügelten Wort geworden ist, ins Schwarze.

 

Und dass mit dem Vorspiel zu Faust Goethe auch noch gelungen ist, das Kommunikations-Dilemma der Jetztzeit, des Multimedia-Zeitalters darzustellen, beweist ein anderes Mal seine Genialität. Vergnüglich zu lesen, wenn so interpretiert:



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Er nennt's Vernunft  und braucht's allein,
um tierischer als jedes Tier zu sein.

Es irrt der Mensch, solang' er strebt.

Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

Wenn Ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,

Allein des Vortrag macht des Redners Glück;

Was du ererbt von deinen Vätern hast;
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last;
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;

Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.

Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen :

Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht ; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;

Das also war des Pudels Kern !
Der Kasus macht mich lachen.

Verweile doch ! du bist so schön!

Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.

Du bist am Ende — was du bist.
Setz' dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz' deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer, was du bist.

Ich sag' es dir: ein Kerl, der spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.

Mir wird von alledem so dumm,
Als ging' mir ein Mühlrad im Kopf herum.

Denn was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.

Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich in.

Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie
Und grün des Lebens goldner Baum.

Ein garstig Lied ! Pfui ! ein politisch Lied

Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie beim Kragen hätte !

Man kann nicht stets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.

Uns ist ganz kannibalisch wohl
Als wie fünfhundert Säuen.

Ein stiller Geist ist Jahr lang geschäftig,
Die Zeit nur macht die feine Gärung kräftig.

Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?

Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause ehn.

Die Hütte wird durch Dich ein Himmelreich.

Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles.   Ach wir Armen !

Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund
Wird allerwegs die Wahrheit kund;

So tauml' ich von Begierde zu Genuß,
Und im Genuß verschmackt' ich nach Begierde.

Meine Ruh' ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Nun sag', wie hast du's mit der Religion?

Es tut mir lang' schon weh,
Daß ich dich in der Gesellschaft seh'.

Es muß auch solche Käuze geben.

Du Spottgeburt von Dreck und Feuer

Hab' ich doch meine Freunde dran !

Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.

Der Menschheit ganzer Jammer fast mich an.

Heinrich ! Heinrich !


Faust, eine Fiktion? Keineswegs, es hat eine leibhaftige Person dieses Namens gegeben:

um 1480: Georg (später fälschlich Johannes) Faust in Knittlingen (Enzkreis) geboren.

1503: Nostradamus wird geboren. Es gibt einige "Ahnlichkeiten" seiner Biographie mit der Fausts.

1506/07: Faust ist Rektor der Lateinschule zu Kreuznach.

ab 1507: Aufenthalt in Heidelberg, eventuell Studium.

Faust hielt sich unter anderem in Erfurt (1513), Bamberg (1520), Ingolstadt (1528) und Nürnberg (1532) auf, hatte Kontakte zu humanistischen Gelehrtenkreisen und offenbar Kenntnisse im Bereich der Naturphilosophie der Renaissance (magia naturalis). Schon zu Lebzeiten setzte die Sagenbildung um ihn ein, im Besonderen wurden Zaubersagen auf ihn übertragen, in denen er vor allen Dingen als Totenbeschwörer auftritt.

um 1538: Georg Faust stirbt in Staufen im Breisgau. Sein plötzlicher und vielleicht gewaltsamer Tod gab Anstoß zu der Sage, der Teufel habe ihn geholt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Dass Menschen sich dem Teufel verschreiben, ist ein häufiges mittelalterliches Motiv; neu am Faust-Motiv ist aber, dass der Grund nicht in Reichtum und Lebensgenuss zu suchen ist, sondern im Erkenntnisdrang. Faust folgt als wandernder Gelehrter, der er offenbar war, der Lehre des Paracelsus, der im Licht der Natur (neben dem Licht des Glaubens) eine zweite Offenbarung Gottes sieht, die der Mensch mit Sinnen und Geist im Anschauen der Welt zu erfassen fähig ist. Schon Paracelsus wurde angedichtet, er habe einen Teufel bei sich, auch er wurde zur Sagengestalt. Von Faust wurde nach seinem Tode behauptet, er sei in Leipzig auf einem Faß aus einem Wirtshaus geritten und habe in Erfurt Studenten die Gestalten Homers leibhaftig vorgeführt.

aus: Notizen zu Faust, TU Clausthal

Bücher zu besitzen war in doppelter Hinsicht ein Privileg. Erstens hieß es, dass man lesen konnte und zweitens hatte man das Geld, sie zu erwerben. Bücher waren einst reine Handarbeit, vom Satz über Druck und Binden, die Herstellung des Papiers, wurden nur in kleinen Auflagen gedruckt und waren entsprechend teuer. Für Verleger wiederum war es ein riskantes Geschäft. Nicht nur, dass sie alles vorfinanzierten, sie konnten nur äußerst selten sein, die gedruckte Auflage auch zu verkaufen, denn man musste erst einmal wissen, dass es diese Titel überhaupt gab. Deshalb haben sich schon recht frühzeitig Buchmessen (Leipzig, Frankfurt) herausgebildet. 

 
 

 

Lesen ist auch ein gut Stück bürgerliches Bildungsideal. Viele Genrezeichnungen der damaligen Zeit zeigen, dass die Menschen durchaus "multimedial" interessiert und ausgestattet waren: viele Bilder an den Wänden, Bücher nicht nur als Statussymbol, Kunstgegenstände (eben: man musste real in 3D hinstellen oder kaufen, was man Freunden zeigen wollte, es gab kein TV oder Fotos). Hier eine Szene aus dem Hause Richard Wagners (1813-1883)

Um 2500 v.Chr., in Ur, bei den Sumerern: sie "schreiben" und "lesen" Bilder - und kommen (vorerst noch) ohne Buchstaben aus. Mit der großen Gefahr, das die Darstellungen natürlich missinterpretiert werden können - und Namen sowieso verloren gehen.

The British Museum, London

 

Rund 1500 v. Chr., die Ägypter stellen auch alles in bunten Bildern dar, aber sie haben längst eine Schrift entwickelt - die Hieroglyphen -, die die Bilder ergänzen oder erläutern.

 

Auch im indischen Kulturkreis sind solche Bilddarstellungen mit ergänzenden Texten heimisch - heute noch.

 

 

Eines der wichtigsten historischen Fundstücke, das half, endlich eine Sprache (wieder) lesen zu können: der Stein von Rosetta (nach dem Fundort im Nildelta). 1799 entdeckt, half er, die Hieroglyphen zu entschlüsseln, weil er den gleichen Text in dieser ägyptischen Schriftsprache, wie auch zugleich in griechisch und demotisch; zwei Schriften, die dato lesbar waren. Und so konnte man den Inhalt auf die Hieroglyphen übertragen und hatte gewissermaßen den Generalcode zum "Knacken" der gesamten Wort- und Lautdarstellungen der historischen Pharaonenreiche gefunden.

 

 

 

Im Europa des Mittelalters konnten nur wenige Menschen lesen; vor allem waren es die Kleriker - und offizielle Schreiber zu Hofe. Die Haupt-"Literatur" war demzufolge klösterlich, die Bibel in nicht endenden Abschriften und Litaneibücher, erst ohne, später verstärkt mit Noten. Die ersten Buchdrucke (man nennt sie auch Inkunabeln, Wiegendrucke) sind von Form und Verzierung identisch mit den handschriftlichen Kopien der Bibel. Auch das Drucken war erst nur eine Angelegenheit für wenige Privilegierte; eben die, die lesen konnten.

Die 42zeilige Bibel Gutenbergs

 

 

Gutenberg kann nur in Phantasiebildern dargestellt werden; es gibt keine zeitgenössische Abbildung von ihm.