Gesang & Musik 5

Der Deutsche an sich war und ist ein Vereinsmensch. Vereine sind hierzulande die vielleicht wichtigste Komponente der gesellschaftlichen Differenzierung und zugleich Kontrolle. Ein Verein diszipliniert Menschen ("Dat dät man nit", "Dat mottste donn") und gibt den Mitgliedern zugleich das unverzichtbare Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Dazugehörens. In der Maslow'schen Bedürfnispyramide fundamentale Verlangen, die nicht unerfüllt bleiben können, ohne dass der einzelne seelischen Schaden leidet. Dass in manchen dieser Vereine nebenbei auch gesungen wird, stört weiter nicht.

 

1806 wurde Deutschlands ältester existenter Männerchor, die Meigener, gegründet. Die Wupperhofer sind also fast gleich alt. Und genießen in der Klingenstadt einen guten Ruf, gehören fest ins gesellschaftliche Leben.

Vermutlich ist der Chor älter, denn Chroniken berichten, dass der Chor 1812 bereits bestanden hat. Das genaue Gründungsdatum blieb unbekannt.

 

Der Wupperhofer ist dem Genitiv sein Tod. Er hatte nie eine Chance, hier im Rheinland, der Genitiv, der zweite Fall; eben jene raffiniert-poetische Ausdrucksform, die der deutschen Sprache Kraft und Eleganz zugleich gibt. "Chor des Bergischen Landes" – so wäre es korrekt, aber total unsolingerisch. Ein Chor kann gar nicht "vom" sein, "aus" vielleicht, oder eben "des". "Bergischer Chor" wäre so korrekt und schön, dass sich wohl keiner trauen würde, es so zu formulieren. Aber es heißt ja, "Singe, wem Gesang gegeben", und selbst eine Textzeile wie "Chor vom Bergischen Land" lässt sich in jeder Melodie unbemerkt verstecken.

Leider haben die Wupperhofer ihre wunderschöne barbusige Wuppermaid bei der Jubiläumsbroschüre nur als Prägung unter dem Umschlag versteckt. Dabei kann sich diese Wuppernixe doch wahrlich sehen lassen - und hätte gute Chancen, zur Miss Zöpfchen gewählt zu werden.

 

 

 

 

 

 

 

Der Chor im Jubiläumsjahr in seiner ganzen männlichen Schönheit:

 

Titelbild: Ölgemäde von Hans Göddertz;
Druck: Herm. Weck Sohn, Solingen
Herausgeber MGV Wupperhof 1812 e.V., 1987

 

  Demonstration von Größe scheint Tradition zu haben bei diesem Chor. Denn 1922 traf man sich beim Fotografen, der dann schlussendlich diese beeindruckende Fotomontage anzufertigen wusste:
 

 

Gesehen bei einem Trödelbarden auf dem Zöppkesmarkt 2005

 

Der "Caruso des Bergischen Landes" war einer von etlichen professionellen und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten und erfolgreichen Solosängern, die entweder im Meisterchor der Wupperhofer begannen oder dort Mitglied waren. Und immer wieder zusammen mit dem Chor oder in Teilen davon tragende Rollen gespielt haben.

F.-E. Engels wurde 1909 in Solingen geboren, schon sein Vater war Chormitglied. Er studierte Musik in Köln und wurde unter anderem auch von Karajan dirigiert. Im zweiten Weltkrieg war er einer der vielen eifrigen Künstlern, die im Rundfunk oder an der Front für die Soldaten sangen. Das hohe C und das Timbre seiner Stimme haben ihn bekannt und berühmt gemacht. Als Gastronom in der Nachbarstadt Haan ist er lange Zeit sehr erfolgreich gewesen.

 

Der Wupperhof gehört Anfang des 17. Jahrhunderts dem Junker Wilhelm Kettler zu Nesselrode und ist Burg Hohenscheid tributpflichtig. Mehrfach (im 30jährigen Krieg und später) wird er geplündert. 1794 waren im Wupperhof 29 kaiserliche Truppen einquartiert.

 

 

Der Wupperhof ist ein einzelnes Gehöft, hauptsächlich - und schon "ewig lange" - eine Wirtschaft und gehört nicht mehr zum Solinger Gebiet. Die Wupper ist die Grenze, also steht er im "Ausland", auf Leichlingen-Witzheldener Gebiet, das zum Rheinisch-Bergischen Kreis gehört.

 

Bevor die Brücke gebaut wurde, querte man die Wupper mit einer Fähre. Der schmale Steg, hier auf dem Bild zu sehen, ist heute durch eine breite Straßenbrücke ersetzt. Das Wasser fließt hier eher unruhig, früher war es durch ein Wehr kurz unterhalb des Wupperhofs gestaut.

 

Heute wippt die Wupper an der gleichen Stelle und das Gebäude der Gaststätte scheint sich unter Bäumen verstecken zu wollen.

 

1928 sollen die Wupperhofer diesen Umzug in der Innenstadt veranstaltet haben. In der eigenen Chronik wird er allerdings nicht erwähnt - wahrscheinlich zu banal, da es nichts mit Gesang zu tun hat.

Zu dieser Zeit sind die Lewerfrauen vereinzelt noch durchaus aktiv und real - also keine Maskerade. Das gilt auch für die Schleifer.

Heinz Risse: Solingen so wie es war, Droste-Verlag, 1975

 

 

Solingen ist übrigens eine grundsätzlich musikalische Stadt. Ziehen auf dem Bild oben die Einwohner durch die Straßen, sind es hier die Bediensteten der Stadtkasse Solingens (also die Hüter des damals noch nicht leeren Säckels) durch die Amtsräume. Minimalste Andeutungen in Maske und Kostüm genügten schon, um eine berstende Stimmung zu erzeugen - für beamtische Verhältnisse kann man schon von einer Prunktsitzung sprechen. Übrigens ist der nette Buchhalter vorne rechts, mit dem Quetschebüggel, dem Klavier des armen Mannes, schon lange der Leiter der Zentralstelle für Chorgesang in der Welt, eine echt typische und in diesem Universum einmalige Institution. Das sehen Sie, was Musik alles bewirken kann. Und die Heiterkeit der Solinger Beamten ... ;.)

 

 In memoriam Helmut König, der leider viel zu früh verstarb, und der sich hier königlich von seinen "Untertanen" durch das reiche Reich der Stadtkasse tragen lässt..