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Schönschreiben 2 |
Natürlich kann man, wie heute üblich, alles auf die
moderne Technik abschieben. Aber mit Bedacht zu schreiben, ist mehr, als
nur "schön" zu schreiben. Es ist die Intelligenz der Konzentration und die
Achtung vor dem Wort. Tugenden oder Emotionen, die im Störfeuer des
medialen Überdrusses längst abgestorben sind. Und mit ihnen die Vielfalt
der Schrift, die Schönheit der Sprache, die Kraft der Details, die
Differenziertheit der Worte. Romantische Schwärmerei? Keineswegs, nur die
Beschreibung eines kollektiven Schlaganfalles, der das (junge) Volk
getroffen hat. Allenfalls das Bedauern über die Amputation eines
Hirnareals, das zur Ausdruckskunst fähig wäre und dem kaum mehr vergönnt
ist, zu Höhenflügen anzusetzen. |
Einst ein renommiertes Unternehmen, im Namen
"Christians Villen" lebt es fort (gegenüber dem Stadttheater, heute sind
dort eine Präsentfirma und ein Edelrestaurant zu Hause). |
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Poststempel 27. Juni 1922
Seb. & Ant. Leiß
Neuötting i/Bay. |
"Wir empfingen Ihre Karte vom 21. VI cr. und wundern uns
sehr, dass Sie heute noch auf Ihre Bestellung vom 5. III. zurückkommen, da
wir Ihnen sogleich nach Auftragserteilung die neuen Preise mitgeteilt
haben und hierauf ohne jegl. Nachricht geblieben sind. Die Ware konnte
nach Eingang Ihrer gefl. Nachricht sofort zum Versand kommen.
Was nun am Lager vorrätig geht heute noch per Post an Ihre wert. Adresse
ab und haben wir Ihnen die billigsten Preise in Rechnung gestellt.!
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Nun, das sich wundern ist genetisch dem Stamm der Solinger treu
geblieben, wie meine persönlichen Erfahrungen mich lehren und es ist ein
großes Bedauern, dass offensichtlich auch die billigsten Preise nix
genutzt haben, denn die Firma Christians existiert schon lange nicht
mehr. Das kommt davon, wenn wir Preußen den Bayern gut sein wollen. |
2 berühmte Firmen auf einer Karte. Das
Blumengeschäft Hedderich lebt im Namen Hedderich Pavillion weiter, der am
Graf-Wilhelm-Platz als Baudenkmal aus den 50er Jahren in die
Neugestaltung einbezogen werden soll. Die "Loos Maschinn", also eine
ehemalige Dampfschleiferei, ist liebevoll restauriert und als markantes
Backsteingebäude in Widdert nun ein Zuhause für moderne innovative
Unternehmen.
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Poststempel 11. Sept. 1921
Da sind heutige Email-Adressen ja etwas kompliziertes gegen die von
früher:
Herr Loos, Widdert
reicht und die Post kommt an !!! (ohne Verzögerung !!!) |
Hätte heute wohl ein FSC-Siegel verdient,
nachhaltige Forstwirtschaft aus heimischen Beständen. Und nicht, wie
heute, schädlingsmittel-vergiftete Tannen quer durch die Republik fahren.
Wer so gütigst bittet, dem kann man ja wirklich nichts abschlagen, außer
einer Tanne ... (das war jetzt ein Kalauer, falls es nicht bemerkt
wurde). |
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" Herrn Loos'
Ich bitte gütigst einen
bln. (Ballen, Bündel ?) Tannengrün zu schneiden. Mein Sohn kommt
Donnerstag oder Freitag nach dort zur Abholung. freundlichem Gruß
Hedderich,
Blumengeschäft
Solingen. " |
Als es noch keine Computer gab, und 1906 gab es
noch keine, und kaum Schreibmaschinen (die wurden zwar schon um 1860
erfunden, waren aber noch exotisch) und keine Fotokopien (1938 durch
Chester F. Carlson, dem gleichen Jahr, in dem auch erst der
Kugelschreiber erfunden wurde), da gab es aber immerhin schon "Umdrucke"
als Vordrucke. In Schönschrift hergestellt und als Formular, das in
Schönschrift ergänzt wurde. Schön. |
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Auf Grund der Bedingung No. 11 der Bau-Erlaubnis vom 24. Juli d. J.
werden Sie aufgefordert, binnen - Wochen, die Unterlagen für die
Terrainabtretung zur Düsseldorfer Straße in Form eines
Fortschreibungsauszuges nebst Handzeichnung einzureichen widrigenfalls
die Bauarbeiten Ihres Wohnhaus-Neubaues eingestellt werden.
Zwecks vorhergehender Vermessung Ihres Grundstücks wollen Sie sich mit
einem Privatlandmesser sofort in Verbindung setzen.
In Vertretung
Nippes |
Nicht nur Schreiber können sich am Schwung des
Stadtnamens ein Beispiel nehmen, sondern auch die Post: Rotterdam am 15.
August 1896 nachmittags 5-6 Uhr gestempelt, ankommend Solingen am
nächsten Morgen, 16. 8. 96, 10-11 Uhr. Das schaffen heute nur noch
Kurierdienste. |
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Wer noch lesen kann, kann's lesen. Wer den Text
nicht mehr lesen kann, weiß, dass ihm eine Kulturfähigkeit abhanden
gekommen ist oder nie vorhanden war.
So viel sei verraten: Es geht um Klistierspritzen
für Pferde. Angeblich. |
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Herrn Ferd. Everts —
Sohn
Solingen —
Höhscheid
Jeder kennt jeden und die Post
kennt alle: Adresse nicht nötig und Laufzeit von Berlin nach Höhscheid
knapp über 24 Std.
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Auftragsnummer, Absender-Adresse - alles
uninteressant. Wie gesagt: jeder kennt jeden und jeder weiß alles.
Senden Sie mir gefl. [gefälligst]
dz [Dutzend] Pr. [Prima] Tischmesser
[No.]
6108, 3 z [Zoll lang]
6142 1/2 4 z
6142 4 z
617[?]7 1/1 3 4 z
1 dz Taschenmesser Horn
mt [mit] 1 Schneide + Korkz. er. 0.60
Berlin, d. 18/10. [18]92
Achtungsvoll
Heinrich Reiner |
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Hier
Solingen hieß früher so - und zehntausende anderer
Orte in Deutschland auch: "Hier". So, wie man Straße und Haunummer
weglassen konnte ("Grünewald" ist eine Allgemeinbezeichnung für ein
ganzes Gebiet), war auch die Ortsangabe nicht notwendig, denn der
Adressat wohnte ja nicht irgendwo, sondern eben -hier ! |
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Poststempel 10. Dez. 1900 |
Die Post kann's
So geschrieben kamen Glückwunschtelegramme beim
Empfänger an. Bei der Post arbeiteten noch Menschen, die richtig
schreiben konnten.
1935 |
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Die Kunst des Schönschreibens beherrschten übrigens auch die
Gebrauchsgrafiker früherer Zeiten. Hier der Entwurf und gleichzeitig
Reinzeichnung für die Titelseite eines Solinger Stahlwarenkataloges. Das
Firmengebäude ist handgezeichnet, wie das Detail es verrät. Und die
Schrift am unteren Rand auch (siehe Ausschnitt oben). |
Und wenn dieser Einband nicht schon Liebe und Schönheit, Klugheit und
Aufmerksamkeit, Perfektion und Großzügigkeit ausstrahlt, was und wie denn
sonst?
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So schrieb man dem Fräulein Braut, wie lieb man sie hat. Mit einem
Gedicht von Goethe, in schöner Handschrift, mit Sorgfalt. Wem da nicht
das Herz aufgeht ....
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Neujahrsgedicht, um 1870 geschrieben |
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Schönschrift 1876
Brief nach Solingen
Bezugnehmend aus einem früheren Brief von Dir bin
trotzdem nicht abgeneigt. .... |
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Eine Karte aus Paris, geschrieben 1879 - also vor
rund 125 Jahren. Solingen war in "Prusse", Preußen gelegen und einer
Straßenadresse bedurfte es in dieser Zeit nicht. Die Inhaber, Juden,
wurden im Dritten Reich im KZ ermordet, opwohl sie zu den spendablen
Sponsorenfamilien in Solingen gehörten. |
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Paris, Juni den 7ten 1879
Wenn noch in Zeit bitte unsere Messer diesmal ohne
Blech oder Zinc Kisten, zu versenden sondern nur in Holz Kisten
diese mit Papier auszuschlagen
Hochachtungsvoll
Jesse Rosenthal |
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