|
Sozialdemokratie in Solingen |
Sozialdemokratie, Gewerkschaften, Konsum, Spar- und
Bauverein - die einen sprechen vom Roten Filz, die anderen schwärmen von
den guten alten Zeiten der arbeiter-selbstbestimmten Illusion der
gestalterischen politischen Macht. Fakt ist, dass Solingen ein starker
Motor und eine Wahl-Hochburg der Sozialdemokratie und SPD war und Fakt ist
auch, dass auch in dieser Stadt die Partei sich selbst in die
Bedeutungslosigkeit manövriert hat. Man kann darüber spekulieren, ob
Angestellte in Boss-Anzügen sich auch als solche fühlen, mit den Roten
nichts zu tun haben wollen oder den Arbeitern das Selbstbewusstsein
abhanden gekommen ist, zumal immer weniger von ihnen tradierte deutsche
Wurzeln haben. Von der einstigen sozialdemokratischen Allmacht blieb in
der Klingenstadt wenig übrig. Und die, die noch die Fahnen und Farbe der
SPD vertreten, gelten in der Bevölkerung nicht mehr ansatzweise als so
charismatisch, wie dies für viele Gewerkschafter und SPD-Größen einst
gegolten hat.
|
Friedrich List, 1844: "In vielen Gegenden
Deutschlands versteht man unter den notwendigsten Lebensbedürfnissen
Kartoffeln ohne Salz, eine Suppe, zur höchsten Notdurft geschmälzt,
Haferbrei, hier und da schwarze Klöße."
In Elberfeld durften Menschen nur dann einige Bissen aus einem unters
Kinn gehängten Blechnapf essen, wenn die Maschine aussetzte oder der
Betrieb aus anderen Gründen ruhte.
frauen standen mit kurzen Pausen 14 bis 16 Stunden an den Webstühlen,
Kinderarbeit (auch unter 10) war an der Tagesordnung. |
In
der Schützenburg fand die denkwürde Rede Lasalls statt, deren
tumultartiger Abbruch im ganzen Reich für Aufsehen sorgte und der gerade
in Gründung befindlichen Sozialdemokratie zumindest moralisch Aufschwung
gab. |
In Preußen stieg von 1816 bis 1861 die Bevölkerung um 86 Prozent, in
Solingen in gleicher Zeit um 142 Prozent. Mit rund 7.000 Beschäftigten
"explodierte" der Industriebezirk Solingen förmlich. Die
Eisenbahnanbindung nach Vohwinkel erleichterte den Kohlentransport aus
dem Ruhrgebiet zu den Solinger Fabriken.
Auslöser sozialer Unruhen in Solingen war das sog. Trucksystem, die
Bezahlung mit (z. T. nutzlosen oder überteuerten) Waren anstatt in
Bargeld.
|
1848 |
im
benachbarten Elberfeld wird u. a. durch Friedrich Engels das
politische Bewusstsein veändert; aus Gräfrath werden "kommunistische
Rädelsführereien" gemeldet, die Arbeiter haben Kontakt zu Karl Marx;
30 % der Solinger Arbeiter sind auf Armenunterstützung angewiesen |
1849 |
Die
Düsseldorfer Regierung führt das Dreiklassenwahlrecht (nach
Steueraufkommen) ein und entmündig damit die Arbeiter und kleinen
Gewerbetreibenden; Frauen und Arme besitzen kein Wahlrecht; in
Solingen werden u. a. Eisengießereien durch Arbeiter besetzt und
zerstört
|
1850 |
in
Höhscheid wird ein Konsumverein gegründet - "Tarnorganisation" für
verbotene Arbeiter-Organisationen |
1852 |
erster
Streik in Solingen bei J. A. Henckels |
1853 |
Bildung
eines Arbeiter-Bildungsvereins in Solingen |
1860 |
Im
Waldgelände um die Grunenburg treffen sich oft Arbeiter heimlich zu
Versammlungen |
1862 |
Carl Klings
(Gräfrath und Eduard Wilms gründen ebenfalls Konsumgenossenschaften,
"Arbeitrverein" genannt; auch in Merscheid gibt es solche Gründungen. |
1863 |
(23. 5.)
Lassalle und Solinger Delegierte gründen in Leipzig den "Allgemeinen
Deutschen Arbeiterverein" (Vorgänger der SPD); Solingen war als
einzige Stadt mit zwei Delegierten im Vorstand vertreten;
(14. 6.) Gründung der des ADAV für Solingen
(27. 9.) Ferdinand Lasalle besucht Solingen; in der Schützenburg
kommt es durch Störenfriede zu Tumulten, Lasalle telegrafiert sofort
an Bismarck und protestiert gegen die Räumung des Saals durch
Uniformierte, die deutsche Presse berichtet intensiv darüber
Ein "Wilhelm Solingen" vertont die erste Arbeiterhymne ("Alle Räder
stehen still, wenn Dein starker Arm es will"), Pseudonym für den
berühmten Dirigenten Hans von Bülow |
1868 |
(11.10.) In
der Wirtschaft Julius Hartkopf am Südwall findet eine erste
Gewerkschaftsversammlung statt, eine Woche später gründet sich eine
Stahl- und Eisen-Gewerkschaft ;
(23.11.) In Höhscheid wird ie neue Gewerkschaft amtlich anerkannt |
1877 |
"Solinger
Freie Presse" wird als erste Arbeiterzeitung herausgegeben, ein
Kopfblatt der Elberfelder "Bergischen Volksstimme" (bis 1878) |
1890 |
(18.5.)
Eine neue Arbeiterzeitugn, die "Bergische Arbeiterstimme" erscheint
in Solingen |
1893 |
Philip
Scheidemann richtet in Solingen eine Zentralstelle des Deutschen
Metallarbeiterverbandes ein |
1897 |
Spar- und
Bauvereine gründen sich in Solingen, Wald und Ohligs |
1903 |
Der
Vorstand der Sozialdemokraten besucht mit dem Kandidaten Philipp
Scheidemann, August Bebel, Wilhelm Dittmann und Hermann Molkebuhr
Solingen - und besichtigt beeindruckt die Müngstener Brücke |
1904 |
Die SPD
gründet diveres Organisationen wie z. B. die Arbeiterjugen, Turn- und
Sportclubs |
1907 |
Die in
Gruppen zersplitterten Heimarbeiter gründen den Solinger
Industriearbeiterverband |
1918 |
Arbeiter-
und Soldatenräte übernehmen für einige Tage Verwaltungsaufgaben,
werden von der englischen Besatzungsmacht jedoch aufgelöst |
1920 |
Generalstreik in Folge des Kapp-Putsches; Kämpfe Solinger Arbeiter am
Hahnerberg (W'tal) |
1921 |
Der
Solinger Spar- und Bauverein unter dem Geschäftsführer Hermann Meyer
errichtet in den Folgejahren viele Siedlungen und Wohnungen |
1933 |
Die
Gewerkschaften werden durch die Nazis aufgelöst, an ihrer Stelle
tritt die Deutsche Arbeitsfront, auch in Solingen; später Auflsöung
der SPD und anderer Parteien; viele Solinger Sozialdemokraten werden
im Lauf der Jahre verhaftet, gefoltert, sogar getötet |
1945 |
(16.4.)
amerikanische Truppen besetzten Solingen; der frühere Geschäftsführer
des Solinger Spar- und Bauvereins, Oskar Riß, wird zum
Oberbürgermeister ernannt;
(2.9.) Bei Eickhorn in Widdert gründet sich der DGB Solingen neu; der
spätere DGB-Vorsitzende Hans Böckler nimmt an der Sitzung teil
Ernst Gnoss wird erster Solinger SPD-Vorsitzender zum Neuanfang |
1948 |
"Viele
tausend Sozialdemokraten wirken in Solingen", heute sind es um die
1.000 Parteimitglieder |
|
|
|
|
|
4 von unzählig vielen Politikerinnen und
Politikern, die Solinger Sozialdemokratie beeinflusst, geprägt,
mitgestaltet haben: Ferdinand Lasalle, Arthur Killat, Willy Brandt, Ernst
Gnoss |
|
Themen über die Sozialgeschichte des Bergischen Landes
werden regelmäßig in Wort und Schrift bzw. in Ausstellungsform
dargestellt vom Bergischen Geschichtsverein, Abteilung Solingen und im
Rheinischen Industriemuseum Solingen, Gesenkschmiede Hendrichs |
Solingen - wie überhaupt der industrialisierte Teil
des Bergischen Landes - sind voll mutiger, engagierter, aber auch
hitzköpfiger und stürmischer Menschen, die sich jeweils zu ihrer Zeit mit
Engagement, Leidenschaft und hoher Opferbereitschaft für soziales Wohl
einsetzten. Nicht vergessen werden sollte, dass im Umfeld sozialer
Auseinandersetzungen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts Familien hungern
und sogar einige Menschen daran sterben mussten. Der "Wohlstand", den wir
heute als selbstverständlich erachten - mit Einklage-Recht und einem
Selbstverständnis, als sei er naturgegeben - ist von unseren Vorfahren
mit persönlichen Opfern erkämpft worden. Das Gedenken daran sollte Teil
unserer Moral sein.
Eine "schillernde Gestalt", Paul Sauerbrey
(1876-1932). Letzer Bürgermeister der Stadtgemeinde Ohligs (1922-1929);
Wanderbursche Gewerkschaftssekretär, Kriegsgegener, wichtiger
Arbeiterfunktionär der Revolutionszeit 1918-19 im Bergischen Land;
zuletzt Vorsitzender der "Gesamt Solinger Sozialdemokratischen Partei". |
|
Unter dem sehr heroischen Titel "Wir verzweifeln
nicht" brachte 1995 der Solinger SPD-Vorsitzende, Bundestagsabgeordnete
und sich selbst so sehende Stratege Hans-Werner Bertl eine auch unter
eigenen Genossen weitgehende unbekannt gebliebene Dokumentation über den
Neuanfang der Solinger SPD nach dem zweiten Weltkrieg heraus.
Da will es die Ironie des Schicksals, dass acht
Jahre später selbst eigene Genossen - plus ein Großteil der Bevölkerung -
angesichts sozialdemokratischer Chrash-Politik sagen: "Wir doch!".
"Rückschau zu halten, tut der SPD in jedem Fall not. Es
ist nicht zu verkennen, dass die Partei seit dem Sturz Helmut Schmidts
als Kanzler und seit dem Tode ihres Vordenkers Willi Brandt nicht mehr
Trtt gefasst hat und sich in einer andauernden Orientierungskriese
befindet."
Geschrieben von Lutz Peters in einer Vorbemerkung;
acht Jahre vor der Krise des Kanzlers Schröders und seiner
Unsozial-Reform.
|
|
Herausgeber Hans-Werner Bertl (MdB)
Text: Lutz Peters und Rolf Rogge
Gestaltung: Christa Berger
Auflage 2.000
Solingen 1995
(nachfolgende Bilder aus dieser gedruckten Dokumentation)
Bertl schreibt im Vorwort:
"Der Rückblick in unsere Parteigeschichte lehrt, dass
wir Bergischen Sozialdemokraten Erben einer großen Tradition sind. Von
unserer Region hat die Arbeiterbewegung wichtige Impulse empfangen. Der
Rückblick lehrt uns aber genauso die Widersprüche und Brüche unserer
Geschichte zu erkennen, über die wir keinen Mantel des Vergessens breiten
dürfen, wenn wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen wollen. ...
Leider, und da schließe ich mich selbst mit ein, hat es in den
zurückliegenden Jahren in der Solinger Partei an historischem Bewusstsein
gefehlt - es gibt kein Parteiarchiv. ... Eine Partei, die ihre Geschichte
vergisst, verliert auch ihr Gesicht."
Da hat er hundertprozentig recht. Und die SPD
Solingen hat ihre Geschichte vergessen. |
Wenn heute die Blödel- und Kalauer-Barden, auf
tiefstem Niveau, im Fernsehen über Politiker und den Papst, Parteien und
Pietät, Philister und Proleten, Pathos und Persönliches blödeln, lästern,
herziehen, es beschimpfen, alle für blöd erklären, keine Werte achten und
auch vor Beleidigung und Verleumdung nicht zurückschrecken, wenn wir uns
die Freihit nehmen, andere Meinungen zu verachten und bloßzustellen, wenn
dann das alles allenfalls einen künstlichen Lacher vom Sound-PC wert und
die Reaktion, gar die Strafe gleich Null ist, dann haben wir wahrhaft
paradiesische Zustände erreicht. Denn für eine Meinung, eine soziale, auf
das Wohl aller gerichtete gar, ist noch vor weniger als 100 Jahren oft
tödlich gewesen. Viele hundert Menschen aus dem Bergischen Land haben
wegen ihrer politischen Überzeugung mit dem Leben bezahlen müssen oder
wurden gefoltert, ermordet. Glaube und Überzeugung waren bis vor
zwei Generationen noch konkret gleichbedeutend mit einem Todesurteil. |
Trauerzug am
Werwolf für die Gefallenen des Gefechts am Hahnerberg (Wuppertal), 1920.
Arbeiter aus Solingen waren beteiligt in Gefechten (Bürgerkrieg), die als
Folge des rechtsradikalen Kapp-Putsches in Berlin das ganze Ruhrgebiet
und auch das Bergische Land erfassten (sog. "Rote Ruhrarmee").
Freiheit, wie wir sie heute kennen und kaum noch
ihres Wertes gedenken, ging nicht von der Mehrheit der Konservativen und
Bürgerlichen aus, sondern von den "kleinen Leuten", die sich politische
Rechte in überschaubar junger Vergangenheit unter Einsatz des Lebens
erkämpfen mussten. Nicht vergessen werden darf auch, dass dieser Kampf
quer durch alle sozialen Schichten und Besitzstände bis heute zur
Solidarisierung geführt hat. Diese Errungenschaft und Kraft läuft Gefahr,
vergessen zu werden und damit ihre Wirkung zu Ungunsten einer aggressiven
Polarisierung an Wirkung zu verlieren.
|
Der Vorsitzende und die treibende Kraft der
Wiederbegründung der SPD nach dem Kriege, Kurt Schumacher, bei einer
Parteiveranstaltung 1950 vor der Solinger Stadthalle.
Heinrich Schroth (rechts) war nach dem rasch
aufeinanderfolgenden Tod der ersten beiden Vorsitzenden der SPD Solingen,
Ernst Gnoss und Max Rieß (beide 1949 verstorben), Vorsitzender des
Unterbezirks Solingen bis zum eigenen Tod 1957.
Schroth war ebenso über lange Jahre während des
Naziterrors inhaftiert (Lager Kemnat, Wupertal) und körperlich von
Mißhandlungsfolgen gekennzeichnt wie auch Kurt Schumacher im ersten
Weltkrieg zum Invaliden wurde (Verlust des rechten Armes) und von 1933
bis 43 in mehren KZs gefangengehalten wurde. Auch die beiden erwähnten
ersten Vorsitzender der Solinger SPD starben indirekt an den
gesundheitlichen Schäden ihrer Haftzeit.
|
Politische Überzeugung als Todesursache ... es ist
erst wenige Generationen her und viel zu oft vergessen.
|
|
Als die Sozialdemokratie noch "Flair", sprich
moralische Überzeugungskraft hatte, mangelte es nicht an
Persönlichkeiten, die diese Grundanschauung in praktische Politik
umsetzen wollten. Ob sie dabei immer erfolgreich waren und nahtlos an die
Grundideen der ideologischen Kraft und Quellen anknüpften, mag ein jeder,
der sich damit auskennt und befasst, selbst beurteilen. |
|
Arthur Killat von Coreth, drei
Legislaturperioden Solinger Abgeordneter in Bonn erhält das
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse aus der Hand vom damals jugendlichen
Wissenschaftsminister Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau (nachmalig
Bundespräsident). Links Solingens seinerzeitiger OB Heinz Dunkel, in der
Mitte SPD-Geschäftsführer Manfred Klett, (Sohn von Trude Klett, "Mutter"
der Volksbühne Solingen)
|
|
Jede Auswahl ist notwendiger Weise ungerecht. Aber
was bleibt, wenn die oft zerstrittene, umstrittene Politik-Gegenwart
längst Geschichte, Erinnerung, Mythos geworden ist? Dann erst, nicht
schon zu aktiven Handlungszeiten, wird der Wert von Politikerinnen und
Politikern wirklich sichtbar. Wer bleibt wie in wessen Erinnerung? Vier,
die es meines Erachtens wert sind, ihrer Verdienste und Ihres Wirkens
sich zu erinnern. Sie alle haben eines gemeinsam, aus dem heutige
Amateur-Politiker nur lernen können: Sie suchten die Öffentlichkeit, sie
bestanden in der Kritik der Öffentlichkeit, sie konnten mir ihrer
Persönlichkeit, Geradlinigkeit und Natürlichkeit überzeugen. Man wusste,
dass sie es ernst und ehrlich meinten. Und sie haben und hatten viele
Wesenszüge, die nicht auf Effekthascherei bedacht waren, sondern mit dem
Wort "Menschlichkeit" am besten charakterisiert sind.
Wie gesagt, es müssten noch viele Namen genannt
werden. Aber wenn es die SPD Solingen auf ihrer eigenen Homepage nicht
schafft, die Erinnerung wachzuhalten, dann muss es eben Zufall bleiben,
wer wann wie und wo vielleicht irgendwann mal vor dem Vergessen bewahrt
wird.
|
v.l.n.r.
Hubert Mallmann,
DGB-Chef in Solingen (50er und 60er Jahre); Gewerkschfter und "Sozi" der "alten
Schule"; kämpferisch, subjektiv, motivierend. Das Urteil über ihn
schwankt zwischen jovial und patriarchisch. In jedem Falle aber, so meine
persönliche Erinnerng an ihn, vom aufrichtigen Bemühen geprägt, der Sache
zu dienen und niemals den bequemen Weg gehend, wenn es um das eigene Wohl
geht. Hans Peters, heutiger DGB-Kreisvorsitzender und von den Roten
geschmäht bis in alle Ewigkeit, hat ähnliche Züge (kein Wunder, seine
Gewerkschaftsjugend war in der Mallmann-Ära), aber offensichtlich sind
solche Klassenkämpfer nicht mehr opportun.
Heinz Dunkel,
der Stille, aber Effektvolle. Systematisch gefördert und geschult, hatte
als OB in den 60ern mit der "Erneuerung der Republik" auf lokaler Ebene
zu tun. Die Zeit des allgemeinen Umbruchs, eines selbstbewussten
demokratischen Neubeginns ("68er-Bewegung") verlangten
Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick. Er konnte dies
sicherlich auch auf seine Arbeit als späterer Landtagsabgeordneter
übertragen, doch diese wurde in Solingen eher am Rande wahrgenommen. Als
OB jedoch, der wirklich die "kleinen Leute" verstand und aus gutem
Gewissen in ihrem Namen entschied und handelte, hat er sich Verdienste um
Solingen erworben, die mehr als es heute geschieht einer Würdigung wert
sind.
Gerd Kaimer,
der heute politisch zurückgezogen lebt, hat in den 90ern gute und ganze
Arbeit als OB geleistet. In seine Amtszeit fiel der Makel des
Bandanschlages auf der Unteren Wernerstraße, der ihn weltweit in die
Medien brachte. Nicht nur da bewahrte er Contenence und hatte das
Geschick, Interessen auszugleichen und besänftigend auf Gemüter
einzuwirken. Manche halten und hielten ihn eher für zu weich und zu
smart, für keine große politische Nummer im Sinne eines Poltergeistes.
Genau aber das war sein unnachahmliches Geschick, nämlich sowohl
"SPD-Mann" zu sein und dennoch anerkannter, geachteter Repräsentant einer
Stadt, der an dieser Stelle die Gesamtheit der Bürger zu vertreten und
ihren oft widersprüchlichen Interessen zu dienen hat. Gerd Kaimer hat
diese Aufgabe mit Bravour gemeistert.
Elisabeth Roock
war die aufrichtige Sozialdemokratin, die nicht aus Berechnung, sondern
aus Überzeugung, die mit Fleiß und Ausdauern, weniger mit berechnender
Taktik und finessenreicher Polemik politisch gestaltend wirkte. Und das
sehr oft im Kleinen, im Verborgenen. Sie war keine Frau der großen Worte,
die allzu oft in hohle Phrasen überzugehen drohen. Sie wirkte gerne und
mit großer menschlicher Wärme dort, wo es Not zu lindern, Probleme zu
lösen und Konflikte zu vermeiden galt. Sie selbst stammt aus dem, was
einst "Arbeitermilieu" genannt wurde, arbeitete selbst auf dem Arbeitsamt
und kannte daher aus eigner Anschauung die Probleme dieser Klientel nur
zu genau. Eine Frau, wie sie heute in der Politik zuweilen noch zu finden
ist, aber nur selten. Und sicherlich, nein, ganz bestimmt, war sie auch
zu ihrer Zeit in diesem Sinne eine Ausnahme von der Regel. Ihre Amtszeit,
ab 1973, war relativ kurz, aber Ihr Versprechen "Ich helfe denen, auf
deren Dasein ein Schatten fällt" hat sie getreu eingehalten.
|
Das Bild spricht Bände. Die Frau inmitten einer
(sehr viel größeren) Männerriege. Verhaltenspsychologische Interpretation
ist eindeutig: die rechte (Tat-)Hand hält die linke Emotions-Hand gefasst
und ruhig; bloß keine Gefühle zeigen, was aber nicht gelingt, denn
Körpersprache kann nicht täuschen. Die niedergeschlagenen, leicht
geschlossenen Augen sagen alles. "Mein Gott, was redet der für einen
Schwachsinn." Sie wird recht gehabt haben, steht zu befürchten. Denn
selbst Paul Krings, rhetorisch wahrlich nicht bange und filigran, schaut
leicht entgeistert.
|
Links Jürgen Girgensohn, seinerzeit NRW-Minister
Schulminister, Mitte Elisbeth Roock, OB von Solingen, rechts Paul Krings,
zu dieser Zeit Stadtratsmitglied |
Wahlplakat 1961 |
Heinz Dunkel, der biedere Arbeitsmann. Was wie
Legendenbildung klingt, hat durchaus seine wahren Wurzeln. Vater in der
Besteckindustrie, selbst gelernter Rasiermesserschleifer,
IG-Metall-Aktivist: es hätte zu Heinz Dunkel gepasst, wenn er im
"Blaumann", der typischen blauen Arbeiterkluft, auch seine politischen
Stunden und Sitzungen vollbracht hätte. Immerhin schaffte er zwei
Amtsperioden als OB (64 bis 73) und wechselte dann in den Landtag. Ihm,
Dunkel, ist übrigens auch der Bau der Siedlung Hasseldelle zu verdanken,
für die er damals noch reichlich fließende Fördergelder in Düsseldorf
locker machte.
|
|
Bei der Grundsteinlegung des Heilpädagogischen
Zentrums Liebigstraße 1969 |
Irrwege oder Irrsinn der Politik. Die
Sozialdemokraten, doch eigentlich nach eigenem Verständnis den Menschen
verpflichtet, träumten den Traum einer "autogerechten Großstadt Solingen"
und suchten seit jeher nach monumentaler Größe im Bergischen Maßstab:
unter ihrer Federführung nahm der Plan eines Rathausneubaus Gestalt an -
jedoch nur im Modell. Geblieben ist ein riesiger Parkplatz mitten in der
Stadt, wo ihn keiner braucht und die Vision in den Köpfen einiger, dass
ja noch möglich ist, was bislang nicht möglich war. |
|
Da könnte man doch glatt die deutsche Natonalhymne
umtexten:
Straßen, Straßen, über alles,
über alles in der Stadt.
Wenn vom Schlagbaum
bis zum Werwolf
der Verkehr zum Bandwurm wird,
baut die Straßen, baut Paläste,
klotzt herein und kleckert nicht:
Autos, Autos, viele Autos,
rasen fröhlich durch die Stadt.
Oben: das existente Theater- und Konzerthaus;
Mitte: die so nie realisierten Häuser, an ihrer Stelle ein massiger
Backsteinbau "City Residenz"; unten Mitte: das niemals in die
Realisierungsphase gekommene neue Rathaus; drumherum: Straßen, die so nie
gebaut wurden, schon gar keine Rampen am Schlagbaum (oben rechts).
|
Zugegeben, der Vergleich ist unfair, aber so
gewollt: Politik kann nämlich auch ästhetisch schöne Arbeiten
hervorbringen. Dieses im aller-aller-allerbesten Jugendstil gestaltete
Plakat der SPD für die Maifeier 1899. Die barbusige Arbeit sagt "Mein ist
die Welt".
Und dann die SPD 2004, auf der Remscheider
Mai-Kundgebung: Bier und Ballons. Wer von den Bürgern würde sich für
anderes interessieren? |
|
aus dem Buch: Politische Plakate im Stadtarchiv
Solingen, 1992 |
Einzige Erklärung und Entschuldigung: die SPD
gewöhnt sich schon einmal an die neuen Prozentzahlen. Bier hat 12 %. |
|
|
|
|
|
|
|
|