Sozialdemokratie in Solingen

Sozialdemokratie, Gewerkschaften, Konsum, Spar- und Bauverein - die einen sprechen vom Roten Filz, die anderen schwärmen von den guten alten Zeiten der arbeiter-selbstbestimmten Illusion der gestalterischen politischen Macht. Fakt ist, dass Solingen ein starker Motor und eine Wahl-Hochburg der Sozialdemokratie und SPD war und Fakt ist auch, dass auch in dieser Stadt die Partei sich selbst in die Bedeutungslosigkeit manövriert hat. Man kann darüber spekulieren, ob Angestellte in Boss-Anzügen sich auch als solche fühlen, mit den Roten nichts zu tun haben wollen oder den Arbeitern das Selbstbewusstsein abhanden gekommen ist, zumal immer weniger von ihnen tradierte deutsche Wurzeln haben. Von der einstigen sozialdemokratischen Allmacht blieb in der Klingenstadt wenig übrig. Und die, die noch die Fahnen und Farbe der SPD vertreten, gelten in der Bevölkerung nicht mehr ansatzweise als so charismatisch, wie dies für viele Gewerkschafter und SPD-Größen einst gegolten hat.

 

Friedrich List, 1844: "In vielen Gegenden Deutschlands versteht man unter den notwendigsten Lebensbedürfnissen Kartoffeln ohne Salz, eine Suppe, zur höchsten Notdurft geschmälzt, Haferbrei, hier und da schwarze Klöße."
In Elberfeld durften Menschen nur dann einige Bissen aus einem unters Kinn gehängten Blechnapf essen, wenn die Maschine aussetzte oder der Betrieb aus anderen Gründen ruhte.
frauen standen mit kurzen Pausen 14 bis 16 Stunden an den Webstühlen, Kinderarbeit (auch unter 10) war an der Tagesordnung.

In der Schützenburg fand die denkwürde Rede Lasalls statt, deren tumultartiger Abbruch im ganzen Reich für Aufsehen sorgte und der gerade in Gründung befindlichen Sozialdemokratie zumindest moralisch Aufschwung gab.

In Preußen stieg von 1816 bis 1861 die Bevölkerung um 86 Prozent, in Solingen in gleicher Zeit um 142 Prozent. Mit rund 7.000 Beschäftigten "explodierte" der Industriebezirk Solingen förmlich. Die Eisenbahnanbindung nach Vohwinkel erleichterte den Kohlentransport aus dem Ruhrgebiet zu den Solinger Fabriken.

Auslöser sozialer Unruhen in Solingen war das sog. Trucksystem, die Bezahlung mit (z. T. nutzlosen oder überteuerten) Waren anstatt in Bargeld.

 

1848 im benachbarten Elberfeld wird u. a. durch Friedrich Engels das politische Bewusstsein veändert; aus Gräfrath werden "kommunistische Rädelsführereien" gemeldet, die Arbeiter haben Kontakt zu Karl Marx;
30 % der Solinger Arbeiter sind auf Armenunterstützung angewiesen
1849 Die Düsseldorfer Regierung führt das Dreiklassenwahlrecht (nach Steueraufkommen) ein und entmündig damit die Arbeiter und kleinen Gewerbetreibenden; Frauen und Arme besitzen kein Wahlrecht; in Solingen werden u. a. Eisengießereien durch Arbeiter besetzt und zerstört
 
1850 in Höhscheid wird ein Konsumverein gegründet - "Tarnorganisation" für verbotene Arbeiter-Organisationen
1852 erster Streik in Solingen bei J. A. Henckels
1853 Bildung eines Arbeiter-Bildungsvereins in Solingen
1860 Im Waldgelände um die Grunenburg treffen sich oft Arbeiter heimlich zu Versammlungen
1862 Carl Klings (Gräfrath und Eduard Wilms gründen ebenfalls Konsumgenossenschaften, "Arbeitrverein" genannt; auch in Merscheid gibt es solche Gründungen.
1863 (23. 5.) Lassalle und Solinger Delegierte gründen in Leipzig den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" (Vorgänger der SPD); Solingen war als einzige Stadt mit zwei Delegierten im Vorstand vertreten;
(14. 6.) Gründung der des ADAV für Solingen
(27. 9.) Ferdinand Lasalle besucht Solingen; in der Schützenburg kommt es durch Störenfriede zu Tumulten, Lasalle telegrafiert sofort an Bismarck und protestiert gegen die Räumung des Saals durch Uniformierte, die deutsche Presse berichtet intensiv darüber
Ein "Wilhelm Solingen" vertont die erste Arbeiterhymne ("Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will"), Pseudonym für den berühmten Dirigenten Hans von Bülow
1868 (11.10.) In der Wirtschaft Julius Hartkopf am Südwall findet eine erste Gewerkschaftsversammlung statt, eine Woche später gründet sich eine Stahl- und Eisen-Gewerkschaft ;
(23.11.) In Höhscheid wird ie neue Gewerkschaft amtlich anerkannt
1877 "Solinger Freie Presse" wird als erste Arbeiterzeitung herausgegeben, ein Kopfblatt der Elberfelder "Bergischen Volksstimme" (bis 1878)
1890 (18.5.) Eine neue Arbeiterzeitugn, die "Bergische Arbeiterstimme" erscheint in Solingen
1893 Philip Scheidemann richtet in Solingen eine Zentralstelle des Deutschen Metallarbeiterverbandes ein
1897 Spar- und Bauvereine gründen sich in Solingen, Wald und Ohligs
1903 Der Vorstand der Sozialdemokraten besucht mit dem Kandidaten Philipp Scheidemann, August Bebel, Wilhelm Dittmann und Hermann Molkebuhr Solingen - und besichtigt beeindruckt die Müngstener Brücke
1904 Die SPD gründet diveres Organisationen wie z. B. die Arbeiterjugen, Turn- und Sportclubs
1907 Die in Gruppen zersplitterten Heimarbeiter gründen den Solinger Industriearbeiterverband
1918 Arbeiter- und Soldatenräte übernehmen für einige Tage Verwaltungsaufgaben, werden von der englischen Besatzungsmacht jedoch aufgelöst
1920 Generalstreik in Folge des Kapp-Putsches; Kämpfe Solinger Arbeiter am Hahnerberg (W'tal)
1921 Der Solinger Spar- und Bauverein unter dem Geschäftsführer Hermann Meyer errichtet in den Folgejahren viele Siedlungen und Wohnungen
1933 Die Gewerkschaften werden durch die Nazis aufgelöst, an ihrer Stelle tritt die Deutsche Arbeitsfront, auch in Solingen; später Auflsöung der SPD und anderer Parteien; viele Solinger Sozialdemokraten werden im Lauf der Jahre verhaftet, gefoltert, sogar getötet
1945 (16.4.) amerikanische Truppen besetzten Solingen; der frühere Geschäftsführer des Solinger Spar- und Bauvereins, Oskar Riß, wird zum Oberbürgermeister ernannt;
(2.9.) Bei Eickhorn in Widdert gründet sich der DGB Solingen neu; der spätere DGB-Vorsitzende Hans Böckler nimmt an der Sitzung teil
Ernst Gnoss wird erster Solinger SPD-Vorsitzender zum Neuanfang
1948 "Viele tausend Sozialdemokraten wirken in Solingen", heute sind es um die 1.000 Parteimitglieder

 

4 von unzählig vielen Politikerinnen und Politikern, die Solinger Sozialdemokratie beeinflusst, geprägt, mitgestaltet haben: Ferdinand Lasalle, Arthur Killat, Willy Brandt, Ernst Gnoss

 

 

Themen über die Sozialgeschichte des Bergischen Landes werden regelmäßig in Wort und Schrift bzw. in Ausstellungsform dargestellt vom Bergischen Geschichtsverein, Abteilung Solingen und im Rheinischen Industriemuseum Solingen, Gesenkschmiede Hendrichs

Solingen - wie überhaupt der industrialisierte Teil des Bergischen Landes - sind voll mutiger, engagierter, aber auch hitzköpfiger und stürmischer Menschen, die sich jeweils zu ihrer Zeit mit Engagement, Leidenschaft und hoher Opferbereitschaft für soziales Wohl einsetzten. Nicht vergessen werden sollte, dass im Umfeld sozialer Auseinandersetzungen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts Familien hungern und sogar einige Menschen daran sterben mussten. Der "Wohlstand", den wir heute als selbstverständlich erachten - mit Einklage-Recht und einem Selbstverständnis, als sei er naturgegeben - ist von unseren Vorfahren mit persönlichen Opfern erkämpft worden. Das Gedenken daran sollte Teil unserer Moral sein.

Eine "schillernde Gestalt", Paul Sauerbrey (1876-1932). Letzer Bürgermeister der Stadtgemeinde Ohligs (1922-1929); Wanderbursche Gewerkschaftssekretär, Kriegsgegener, wichtiger Arbeiterfunktionär der Revolutionszeit 1918-19 im Bergischen Land; zuletzt Vorsitzender der "Gesamt Solinger Sozialdemokratischen Partei".

 

   

Unter dem sehr heroischen Titel "Wir verzweifeln nicht" brachte 1995 der Solinger SPD-Vorsitzende, Bundestagsabgeordnete und sich selbst so sehende Stratege Hans-Werner Bertl eine auch unter eigenen Genossen weitgehende unbekannt gebliebene Dokumentation über den Neuanfang der Solinger SPD nach dem zweiten Weltkrieg heraus.

Da will es die Ironie des Schicksals, dass acht Jahre später selbst eigene Genossen - plus ein Großteil der Bevölkerung - angesichts sozialdemokratischer Chrash-Politik sagen: "Wir doch!".

"Rückschau zu halten, tut der SPD in jedem Fall not. Es ist nicht zu verkennen, dass die Partei seit dem Sturz Helmut Schmidts als Kanzler und seit dem Tode ihres Vordenkers Willi Brandt nicht mehr Trtt gefasst hat und sich in einer andauernden Orientierungskriese befindet."

Geschrieben von Lutz Peters in einer Vorbemerkung; acht Jahre vor der Krise des Kanzlers Schröders und seiner Unsozial-Reform.

 

Herausgeber Hans-Werner Bertl (MdB)
Text: Lutz Peters und Rolf Rogge
Gestaltung: Christa Berger
Auflage 2.000
Solingen 1995
(nachfolgende Bilder aus dieser gedruckten Dokumentation)

Bertl schreibt im Vorwort:

"Der Rückblick in unsere Parteigeschichte lehrt, dass wir Bergischen Sozialdemokraten Erben einer großen Tradition sind. Von unserer Region hat die Arbeiterbewegung wichtige Impulse empfangen. Der Rückblick lehrt uns aber genauso die Widersprüche und Brüche unserer Geschichte zu erkennen, über die wir keinen Mantel des Vergessens breiten dürfen, wenn wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen wollen. ... Leider, und da schließe ich mich selbst mit ein, hat es in den zurückliegenden Jahren in der Solinger Partei an historischem Bewusstsein gefehlt - es gibt kein Parteiarchiv. ... Eine Partei, die ihre Geschichte vergisst, verliert auch ihr Gesicht."

Da hat er hundertprozentig recht. Und die SPD Solingen hat ihre Geschichte vergessen.

Wenn heute die Blödel- und Kalauer-Barden, auf tiefstem Niveau, im Fernsehen über Politiker und den Papst, Parteien und Pietät, Philister und Proleten, Pathos und Persönliches blödeln, lästern, herziehen, es beschimpfen, alle für blöd erklären, keine Werte achten und auch vor Beleidigung und Verleumdung nicht zurückschrecken, wenn wir uns die Freihit nehmen, andere Meinungen zu verachten und bloßzustellen, wenn dann das alles allenfalls einen künstlichen Lacher vom Sound-PC wert und die Reaktion, gar die Strafe gleich Null ist, dann haben wir wahrhaft paradiesische Zustände erreicht. Denn für eine Meinung, eine soziale, auf das Wohl aller gerichtete gar, ist noch vor weniger als 100 Jahren oft tödlich gewesen. Viele hundert Menschen aus dem Bergischen Land haben wegen ihrer politischen Überzeugung mit dem Leben bezahlen müssen oder wurden gefoltert, ermordet.  Glaube und Überzeugung waren bis vor zwei Generationen noch konkret gleichbedeutend mit einem Todesurteil.

Trauerzug am Werwolf für die Gefallenen des Gefechts am Hahnerberg (Wuppertal), 1920. Arbeiter aus Solingen waren beteiligt in Gefechten (Bürgerkrieg), die als Folge des rechtsradikalen Kapp-Putsches in Berlin das ganze Ruhrgebiet und auch das Bergische Land erfassten (sog. "Rote Ruhrarmee").

Freiheit, wie wir sie heute kennen und kaum noch ihres Wertes gedenken, ging nicht von der Mehrheit der Konservativen und Bürgerlichen aus, sondern von den "kleinen Leuten", die sich politische Rechte in überschaubar junger Vergangenheit unter Einsatz des Lebens erkämpfen mussten. Nicht vergessen werden darf auch, dass dieser Kampf quer durch alle sozialen Schichten und Besitzstände bis heute zur Solidarisierung geführt hat. Diese Errungenschaft und Kraft läuft Gefahr, vergessen zu werden und damit ihre Wirkung zu Ungunsten einer aggressiven Polarisierung an Wirkung zu verlieren.

 

Der Vorsitzende und die treibende Kraft der Wiederbegründung der SPD nach dem Kriege, Kurt Schumacher, bei einer Parteiveranstaltung 1950 vor der Solinger Stadthalle.

Heinrich Schroth (rechts) war nach dem rasch aufeinanderfolgenden Tod der ersten beiden Vorsitzenden der SPD Solingen, Ernst Gnoss und Max Rieß (beide 1949 verstorben), Vorsitzender des Unterbezirks Solingen bis zum eigenen Tod 1957.

Schroth war ebenso über lange Jahre während des Naziterrors inhaftiert (Lager Kemnat, Wupertal) und körperlich von Mißhandlungsfolgen gekennzeichnt wie auch Kurt Schumacher im ersten Weltkrieg zum Invaliden wurde (Verlust des rechten Armes) und von 1933 bis 43 in mehren KZs gefangengehalten wurde. Auch die beiden erwähnten ersten Vorsitzender der Solinger SPD starben indirekt an den gesundheitlichen Schäden ihrer Haftzeit.

 

Politische Überzeugung als Todesursache ... es ist erst wenige Generationen her und viel zu oft vergessen.

Als die Sozialdemokratie noch "Flair", sprich moralische Überzeugungskraft hatte, mangelte es nicht an Persönlichkeiten, die diese Grundanschauung in praktische Politik umsetzen wollten. Ob sie dabei immer erfolgreich waren und nahtlos an die Grundideen der ideologischen Kraft und Quellen anknüpften, mag ein jeder, der sich damit auskennt und befasst, selbst beurteilen. 

 

Arthur Killat von Coreth, drei Legislaturperioden Solinger Abgeordneter in Bonn erhält das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse aus der Hand vom damals jugendlichen Wissenschaftsminister Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau (nachmalig Bundespräsident). Links Solingens seinerzeitiger OB Heinz Dunkel, in der Mitte SPD-Geschäftsführer Manfred Klett, (Sohn von Trude Klett, "Mutter" der Volksbühne Solingen)

 

 

Jede Auswahl ist notwendiger Weise ungerecht. Aber was bleibt, wenn die oft zerstrittene, umstrittene Politik-Gegenwart längst Geschichte, Erinnerung, Mythos geworden ist? Dann erst, nicht schon zu aktiven Handlungszeiten, wird der Wert von Politikerinnen und Politikern wirklich sichtbar. Wer bleibt wie in wessen Erinnerung? Vier, die es meines Erachtens wert sind, ihrer Verdienste und Ihres Wirkens sich zu erinnern. Sie alle haben eines gemeinsam, aus dem heutige Amateur-Politiker nur lernen können: Sie suchten die Öffentlichkeit, sie bestanden in der Kritik der Öffentlichkeit, sie konnten mir ihrer Persönlichkeit, Geradlinigkeit und Natürlichkeit überzeugen. Man wusste, dass sie es ernst und ehrlich meinten. Und sie haben und hatten viele Wesenszüge, die nicht auf Effekthascherei bedacht waren, sondern mit dem Wort "Menschlichkeit" am besten charakterisiert sind.

Wie gesagt, es müssten noch viele Namen genannt werden. Aber wenn es die SPD Solingen auf ihrer eigenen Homepage nicht schafft, die Erinnerung wachzuhalten, dann muss es eben Zufall bleiben, wer wann wie und wo vielleicht irgendwann mal vor dem Vergessen bewahrt wird.

 

v.l.n.r.

Hubert Mallmann, DGB-Chef in Solingen (50er und 60er Jahre); Gewerkschfter und "Sozi" der "alten Schule"; kämpferisch, subjektiv, motivierend. Das Urteil über ihn schwankt zwischen jovial und patriarchisch. In jedem Falle aber, so meine persönliche Erinnerng an ihn, vom aufrichtigen Bemühen geprägt, der Sache zu dienen und niemals den bequemen Weg gehend, wenn es um das eigene Wohl geht. Hans Peters, heutiger DGB-Kreisvorsitzender und von den Roten geschmäht bis in alle Ewigkeit, hat ähnliche Züge (kein Wunder, seine Gewerkschaftsjugend war in der Mallmann-Ära), aber offensichtlich sind solche Klassenkämpfer nicht mehr opportun.

Heinz Dunkel, der Stille, aber Effektvolle. Systematisch gefördert und geschult, hatte als OB in den 60ern mit der "Erneuerung der Republik" auf lokaler Ebene zu tun. Die Zeit des allgemeinen Umbruchs, eines selbstbewussten demokratischen Neubeginns ("68er-Bewegung") verlangten Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick. Er konnte dies sicherlich auch auf seine Arbeit als späterer Landtagsabgeordneter übertragen, doch diese wurde in Solingen eher am Rande wahrgenommen. Als OB jedoch, der wirklich die "kleinen Leute" verstand und aus gutem Gewissen in ihrem Namen entschied und handelte, hat er sich Verdienste um Solingen erworben, die mehr als es heute geschieht einer Würdigung wert sind.

Gerd Kaimer, der heute politisch zurückgezogen lebt, hat in den 90ern gute und ganze Arbeit als OB geleistet. In seine Amtszeit fiel der Makel des Bandanschlages auf der Unteren Wernerstraße, der ihn weltweit in die Medien brachte. Nicht nur da bewahrte er Contenence und hatte das Geschick, Interessen auszugleichen und besänftigend auf Gemüter einzuwirken. Manche halten und hielten ihn eher für zu weich und zu smart, für keine große politische Nummer im Sinne eines Poltergeistes. Genau aber das war sein unnachahmliches Geschick, nämlich sowohl "SPD-Mann" zu sein und dennoch anerkannter, geachteter Repräsentant einer Stadt, der an dieser Stelle die Gesamtheit der Bürger zu vertreten und ihren oft widersprüchlichen Interessen zu dienen hat. Gerd Kaimer hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert.

Elisabeth Roock war die aufrichtige Sozialdemokratin, die nicht aus Berechnung, sondern aus Überzeugung, die mit Fleiß und Ausdauern, weniger mit berechnender Taktik und finessenreicher Polemik politisch gestaltend wirkte. Und das sehr oft im Kleinen, im Verborgenen. Sie war keine Frau der großen Worte, die allzu oft in hohle Phrasen überzugehen drohen. Sie wirkte gerne und mit großer menschlicher Wärme dort, wo es Not zu lindern, Probleme zu lösen und Konflikte zu vermeiden galt. Sie selbst stammt aus dem, was einst "Arbeitermilieu" genannt wurde, arbeitete selbst auf dem Arbeitsamt und kannte daher aus eigner Anschauung die Probleme dieser Klientel nur zu genau. Eine Frau, wie sie heute in der Politik zuweilen noch zu finden ist, aber nur selten. Und sicherlich, nein, ganz bestimmt, war sie auch zu ihrer Zeit in diesem Sinne eine Ausnahme von der Regel. Ihre Amtszeit, ab 1973, war relativ kurz, aber Ihr Versprechen "Ich helfe denen, auf deren Dasein ein Schatten fällt" hat sie getreu eingehalten.

 

Das Bild spricht Bände. Die Frau inmitten einer (sehr viel größeren) Männerriege. Verhaltenspsychologische Interpretation ist eindeutig: die rechte (Tat-)Hand hält die linke Emotions-Hand gefasst und ruhig; bloß keine Gefühle zeigen, was aber nicht gelingt, denn Körpersprache kann nicht täuschen. Die niedergeschlagenen, leicht geschlossenen Augen sagen alles. "Mein Gott, was redet der für einen Schwachsinn." Sie wird recht gehabt haben, steht zu befürchten. Denn selbst Paul Krings, rhetorisch wahrlich nicht bange und filigran, schaut leicht entgeistert.

 

Links Jürgen Girgensohn, seinerzeit NRW-Minister Schulminister, Mitte Elisbeth Roock, OB von Solingen, rechts Paul Krings, zu dieser Zeit Stadtratsmitglied

 

Wahlplakat 1961

Heinz Dunkel, der biedere Arbeitsmann. Was wie Legendenbildung klingt, hat durchaus seine wahren Wurzeln. Vater in der Besteckindustrie, selbst gelernter Rasiermesserschleifer, IG-Metall-Aktivist: es hätte zu Heinz Dunkel gepasst, wenn er im "Blaumann", der typischen blauen Arbeiterkluft, auch seine politischen Stunden und Sitzungen vollbracht hätte. Immerhin schaffte er zwei Amtsperioden als OB (64 bis 73) und wechselte dann in den Landtag. Ihm, Dunkel, ist übrigens auch der Bau der Siedlung Hasseldelle zu verdanken, für die er damals noch reichlich fließende Fördergelder in Düsseldorf locker machte.

 

Bei der Grundsteinlegung des Heilpädagogischen Zentrums Liebigstraße 1969

Irrwege oder Irrsinn der Politik. Die Sozialdemokraten, doch eigentlich nach eigenem Verständnis den Menschen verpflichtet, träumten den Traum einer "autogerechten Großstadt Solingen" und suchten seit jeher nach monumentaler Größe im Bergischen Maßstab: unter ihrer Federführung nahm der Plan eines Rathausneubaus Gestalt an - jedoch nur im Modell. Geblieben ist ein riesiger Parkplatz mitten in der Stadt, wo ihn keiner braucht und die Vision in den Köpfen einiger, dass ja noch möglich ist, was bislang nicht möglich war.

Da könnte man doch glatt die deutsche Natonalhymne umtexten:

Straßen, Straßen, über alles,
über alles in der Stadt.
Wenn vom Schlagbaum
bis zum Werwolf
der Verkehr zum Bandwurm wird,
baut die Straßen, baut Paläste,
klotzt herein und kleckert nicht:
Autos, Autos, viele Autos,
rasen fröhlich durch die Stadt.

Oben: das existente Theater- und Konzerthaus; Mitte: die so nie realisierten Häuser, an ihrer Stelle ein massiger Backsteinbau "City Residenz"; unten Mitte: das niemals in die Realisierungsphase gekommene neue Rathaus; drumherum: Straßen, die so nie gebaut wurden, schon gar keine Rampen am Schlagbaum (oben rechts).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zugegeben, der Vergleich ist unfair, aber so gewollt: Politik kann nämlich auch ästhetisch schöne Arbeiten hervorbringen. Dieses im aller-aller-allerbesten Jugendstil gestaltete Plakat der SPD für die Maifeier 1899. Die barbusige Arbeit sagt "Mein ist die Welt".

Und dann die SPD 2004, auf der Remscheider Mai-Kundgebung: Bier und Ballons. Wer von den Bürgern würde sich für anderes interessieren?

 

aus dem Buch: Politische Plakate im Stadtarchiv Solingen, 1992

 

Einzige Erklärung und Entschuldigung: die SPD gewöhnt sich schon einmal an die neuen Prozentzahlen. Bier hat 12 %.