Tristesse 3

Je mehr Postkarten man von Solingen sieht, desto erstaunter könnte man sein, wie wenig Motive es in dieser Stadt geben soll. Immer wieder konzentrierten sich Fotografen und Verlage auf einige wenige Szenen in der Innenstadt oder halt die berühmten "Ausflugsziele" und wenigen historischen Gebäude, die den Krieg überlebt hatten. Und es es eigentlich auch heute noch scheinbar so: es ist, als ob es der Stadt an Details mangele. Dass dem nicht so ist, beweist die Solinger Fotografin Kerstin Ehmke-Putsch mit hochsensiblen Aufnahmen, die einerseits oft eine Elegie des Verfalls symbolisieren und andererseits überraschende Momente, die zuweilen sogar romantisch - und man höre und staune - optisch sogar richtig aufregend sein können.



 

Verlag Max Biegel,
Wuppertal-Vohwinkel

 

 

Die Hauptstraße, zugleich Haupt-Einkaufsstraße. Früher jedenfalls. Da Solinger Politiker im Denken zuweilen nicht ganz so schnell sind, hört man aus ihrem Munde oft das Klagen, die Innenstadt veröde oder würde zur Ramsch-Zone. Drei Anmerkungen dazu: sie war schon immer öde (siehe Bild), wurde allenfalls zwischenzeitlich wegen der bunten Neonreklame falsch interpretiert; "früher" gab es zu den (Einzelhandels-) Geschäften in der Innenstadt noch gar keine Alternative, und zwar deutschlandwei, Franchise-Filialen und Supermärkte waren noch unbekannt; und drittens: die Kunden, nicht die Politiker, Planer und Interessenvertreter bestimmen, was sie wollen.

Wie Innenstädte attraktiv werden, kann man überall auf der Welt studieren, nur in Solingen nicht: die Mischung aus "Entertainment", Vergnügungsvielfalt plus Einkaufen in Hülle und Fülle ist es, was Verbraucher heute lieben und mit Umsätzen honorieren. In Solingen jedoch gilt jede neue Planung, die das verwirklicht, als das Supergau. Dass die Stadt dabei stirbt, nimmt man billigend in Kauf.

 

Zur Orientierung: links ist das Uhrengeschäft Leiber (das Glockenspiel kann man oben am Bildrand gerade noch sehen; in der Mitte des Platzes jetzt "der dicke Stein", hinten beim Lieferwagen das Bachtor.

Auf dem Alten Markt. Peter Witte ist "Heimatdichter", wie dies so schön heisst. Der Platz wird übrigens demnächst umgestaltet und soll sowohl dem Ausruhen wie auch kleinen "Events" dienen.

 

 

Es gab Zeiten, da waren solche Karossierien modern. Und sie wären es heute wieder, denn sie zeigen Kraft.

 

 

Der Botanische Garten am Vogelsang (zwischen heutiger Hauptschule und Klinikum). Ja, kaum zu glauben, auch ein botanischer Garten fängt einmal ganz klein an, mit ganz kleinen Büschen und Bäumen. Und zu dieser Zeit war ein Feld mit blühenden Tulpen noch einen Sonntagsausflug wert.

 

 

Zweckarchitektur. Das ist wohl der Begriff, der niemanden beleidigt und beschönigt, dass dieses Gebäude nicht schön ist. Aber zweckmäßig. Und es passt irgendwie in die Solinger Mentalität: es ist gerade ausreichend und "mie mott nit sinn", Feiern und fröhlich sein kann man auch in viereckigen Kästen - und in der Tat, ich kann's aus jahrelanger eigenen Tätigkeiten in diesen "heiligen Hallen" nur bestätigen: man konnte sich darin richtig wohl fühlen, fröhlich sein, "Spass an d'r Freud" haben und feste daran glauben, es gäbe Bretter, die die Welt bedeuten.

 

 

 

Was heute Fluch, Qual und unfinanzierbar ist, war früher, vor etwas mehr als 40, 50 Jahren, noch der ganze Stolz: der Autoverkehr. Je mehr, desto besser. Und wenn man einen Verkehrsknotenpunkt hatte, dann war das dem Attribut "Großstadt" gleichzusetzen.

 

Eine echte Siebensternfotokarte im Verlag Paul Sprenger, Bergisch-Gladbach

Das Gebäude der Stadtsparkasse, Filiale Schlagbaum. Man kann es heute, 40 Jahre später, exakt wiedererkennen. Ein markanter Halbrundbau, der nun ein Gegenüber bekommen hat, der Rundbau der Edelmarke Porsche

 

 

Blick in die Kronprinzenstraße. Die Häuser links stehen nicht mehr, sie mussten dem Kreuzungsausbau weichen; zurückgesetzt davon das heutige CityClub-Hotel.

 

 

Die Hauptstraße mit Blick zur Innenstadt; wo Häuser scheinbar quer zur Hauptstraße (heute Konrad-Adenauer-Straße) stehen, ist heute der Rathausparkplatz, um dessen Bebauung sich die nächste Provinzposse anbahnen könnte..

 

 

Ach ja, das Büdchen an der Kuller Straße. Vielleicht von den meisten längst vergessen. Sarkastisch könnte man sagen: aus diesen bescheidenen Anfängen hat sich das große Autohaus Porsche entwickelt, das nun an dieser Stelle steht.

 

 

Der Blick nach Norden, Richtung Wasserturm / Central. Das Hochhaus trug über lange Jahre die markante Leuchtreklame für "Knirps" und jetzt für OBI.

 

 

Es sei noch erwähnt, dass in Solingen durchaus ein intensives "süßes Leben", dolce vita, möglich ist. Aber nicht so, wie es jetzt wieder die Lüsternden unter Ihnen denken mögen. Nein, Solingen hat die einzige Süßwarenfachschule Deutschlands. Was immer Sie an zahnungesund Süßem oder Saurem oder Gemischten in Bonbon- oder Nachwerkzeug in den Mund schieben, mit großer Wahrscheinlichkeit ist der "Koch" dafür hier in Solingen ausgebildet worden. Die Schule kam übrigens durch die weitbekannte Firma Dr. Hillers (Pfeffermünz) nach Solingen, sie wurde von Haribo aufgekauft. Heute werden unter anderem die Gummibärchen und Lakritz und vieles andere mehr in Solingen gemacht.

 

Verlag: Creemers-Müller, Schreibwaren, Solingen-Gräfrath

Echte Fotografie 1957

 

 

 

 

 

 

Haribo-Werk, früher Dr. Hillers

Foto Kerstin Ehmke-Putsch