Vergilbte Zeitungen 3

Zeitungen sind historische Seismographen. Da es ihre Selbstbestimmung ist, über das Lokale zu berichten, geben sie in feinster Nuancierung auch Auskunft über Stimmung und Ereignisse zu jedem Zeitpunkt. Sie halten fest, was allzu schnell in Vergessenheit gerät und im Rückblick offenbaren sie, was jeweils "angesagt" und Zeitgeist war.

 

1920

Auf der einen Seite Knappheit bei den Lebensmitteln (siehe vorige Seite) und gleichzeitig Arbeitsplatzangebote, von denen man heute nur träumen kann, quantitativ zumindest. Gleichzeitig ein Spiegelbild der damaligen Berufe und Arbeitsbedingungen, der Solinger Wirtschaft und Infrastruktur.

Selbst die heute für so emanzipativ-fortschrittlich gehaltene Unsitte der Verinnerei gab es vor einem knappen Jahrhundert schon: Die Anzeige in dem Anzeiger (Gerechtigkeit gilt auch anders herum) spricht von Schweißer(innen), was der Tasache/den Tatsachinnen keinen Abbruch(innen) tut, das der Not(innen) gehorchend man nehmen musste, was sich bot. Die Umschlung/der Umschul waren noch unbekannt und Arbeiter/innen hatten oft nicht mehr anzubieten als ihren Mut/in, ihre Kraft/den Kraft und ihr Selbstvertrauen. Selbst Gastarbeiter/innen sind kein Phänomen der Neuzeit/des Neuzeit, tüchtige Mensch/innen wurden bis nach Holland gesucht.

 

Und auch Scheinselbständigkeit ist damals schon längst gang und gebe: der Scherennagler, der sich selbständig machen will, wird in die Fabrik gesucht (was heute als Widerspruch empfunden wird), wo ihm die Gerätschaften gestellt werden, was bei heutiger Selbständigkeit genau gegenteilig ist.

Interessant, welche Firmen damals existeren, von denen heute kaum einer noch weiß, die Siegen-Solinger Gußstahl-Aktien-Verein oder Alexander Coppel (Juden-Familie, die ermordet wurde und der Stadt eine beispiellose Stiftung machte). Oder das Engelswerk an der Foche und das Marienwerk am Mangeberg. 

 

 

Neben "normalen Berufen" war auch oft das Alter schon eine Art beruflicher Eignung: Junge, Mädchen, junger Mann, kräftiger junger Mann, geschicktes Fräulein usw. gesucht ...

 

Was mich besonders freut: auch die Herren Setzer der vergangenen Epochen waren nicht frei von Satzfehlern: da werden jnuge statt junge Mädchen gesucht - na, dann suchen Sie mal, wo.