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Solingen aus der Vogelperspektive. Bildlich wie
textlich. |
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Voigt/Wenke: SOLINGEN Die Klingenstadt aus der
Vogelperspektive
Verlag Gronenberg
ISBN 3-88265-201-2 Fortsetzung |
Ach
ja Sprache
Natürlich ist Solingen ein
Sprach-Grenzland und fast ist es schon ein Wunder, dass die Grenze
diesmal nicht mitten durch die Stadt verläuft, sondern einigermaßen den
geologischen Grenzen zwischen rheinischer Tiefebene und den nach Osten
ansteigenden Bergen des deutschen Mittelgebirges folgt. Eine Linie von
Benrath (Düsseldorf) und Barmen trennt die westfälischen von den
rheinischen Idiomen. Und wer Solinger Platt spricht, klingt im Luftlinie
weniger als 10 Kilometer entfernten Remscheid fast wie aus einem anderen
Land.
Die natürliche Grenze hat insgesamt mit der
Wupper zu tun, einem Fluss, der im Osten und Süden von Solingen die
natürliche Stadtgrenze bildet und überall dort nur so etwas wie ein
großer Bach bleibt. Die Wupper war nie im industriellen Sinne schiffbar,
aber sie hat der Stadt und dem Land zu ihrer einstigen wirtschaftlichen
Blüte verholfen, weil mit der Wasserkraft der früher reichlich
vorhandenen Stauwehre die Schleifsteine der Messer- und
Schwerterschleifer und die Werkstätten der Kleineisen- und
Besteckindustrie betrieben werden konnten.
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Solingen-Weyer |
Freiheit. Und sonst nichts.
So streitbar und dogmatisch auch Bergische Menschen sein mögen, so
wichtig ist ihnen die Gedanken- und Meinungsfreiheit. So wie ihre
Stadt, ihre Landschaft, Stadt und Dorf, Industriezentrum und bewahrte,
schöne Landschaft zugleich ist, so sind der Stolz auf das Gemeinsame und
die Herausstellung des Besonderen und Eigenheit nichts anderes als die
beiden Seiten der gleichen Münze.
Solingen nennt sich stolz die
Klingenstadt. Diesen Namen trägt die Stadt zu recht, auch wenn es
zahlreiche Orte in ganz Deutschland gab oder gibt, in denen Bestecke
oder Blankwaffen gemacht wurden und werden. Aber nirgendwo hat sich
eine so dichte, vielfältige, differenzierte, aber dem gleichen Kern
entspringende Industriekultur rund um die Kleineisenverarbeitung,
Schwerpunkt Waffen, Bestecke, Werkzeuge, Instrumente entwickelt wie in
der Klingenstadt Solingen.
Me fecit Solingen als Stempel auf
Schwertern war früher das Qualitätszeichen schlechthin. Weshalb es, zu
recht, eine Lex Solingen gibt. Ein Gesetz, welches nichts anderes
besagt, als dass der Name Solingen als Herkunftsort und Qualitätsmerkmal
weltweit geschützt ist und tatsächlich nur Produkte zieren darf, die im
Industriereis Solingen gefertigt werden. Qualitätsschutz, der auch
heute noch seinen Preis hat, denn eher arbeitet ein typischer Solinger
Messerschleifer nicht, als dass er billige Ware minderer Qualität
produzieren sollte.
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Solingen-Weeg |
Die besten von allen.
Diese Industrie, heute eher
nur eine Komponente unter vielen im Wirtschaftsgeschehen, hat in den
letzten Jahrhunderten die Entwicklung der Weiler, Hof Schäften und Städte
geprägt, die zur Großstadt Solingen vereint
wurden. Früher als anderswo in Deutschland hat man die Spezialisierung,
die Aufteilung der Arbeiten in eigenständige Berufe erfunden und
praktiziert.
Mehr als woanders wurden hier Arbeiter
Selbständige. Ein kurioser Gegensatz, zugleich abhängig und selbständig
zu sein, was erklärt, warum diese Selbständigen zu bestimmten Zeiten die
KPD wählten und Solingens Ruf als ehemalige rote Hochburg festigten.
Heute ist es umgekehrt, da gewinnen in Wahlen die Liberalen zumeist mehr
Stimmen als im Landes- oder gar Bundesdurchschnitt. Wahrscheinlich, weil
die Zahl der Fabrikanten so gesunken ist. Aus der recht eigenartigen und
komplizierten Arbeitsteilung vor allem im 19. Jahrhundert gingen
wesentliche Impulse zur Schaffung des noch heute bestehenden
Heimarbeitergesetzes hervor.
Der Ruhm der Solinger
Klingen- und Werkzeugindustrie, der Besteckkunst und der ungezählten
Rasierklingen, Scheren und ähnlich Schnittigem begründet sich natürlich
auf die Schaffenskraft der fleißigen Männer, die diese Werke schufen -
so mag man denken. Dabei waren es - hätten Sie hier keinen Gegensatz
erwartet? - die Frauen, die die eigentliche Arbeit leisteten und die
Solinger Industrie in ihrer arbeitsteiligen Form und damit einem hohen
Spezialistentum erst möglich machten. Sie trugen auf Körben, Mangen
genannt, die wahrlich schwere Last auf ihrem Kopf von der Werkstatt - dem
Kotten - zur Fabrik, zum Fabrikanten.
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Weegerhof, unten rechts Karl-Schurz-Weg |
Menschlandschaft
Dieses Buch stellt die
Landschaft Solingens aus der Luft gesehen vor. Warum kreist der Text
immer wieder um die Menschen,? Solingen, seine Landschaft und seine Menschen
sind eine Einheit, die in einer Wechselwirkung steht, die heute
selten und daher eine Rarität geworden ist, der sich die Solinger leider
nur selten bewusst werden.
Der Charakter der Landschaft hat den
Charakter der Menschen deutlich geprägt. Eigenbrödlerisch wie die
Abgeschiedenheit manchen Tales, mancher Ortschaft, ist gute Solinger
Lebensart. Hinauszuwollen, die Enge des Tales überwinden, nicht nur
räumlich auf Bergrücken mit ihrer Weitsicht zu siedeln, neidisch in die
Ferne zu schauen (freilich, nur, um daheimzubleiben oder zurückzukehren),
ist ebenso Solinger Charakter.
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Oben zum Holz (Gräfrath) |
Markenhaft
Der Knirps, jener
legendäre Schirm, hat hier seinen Ursprung. Krups als
Küchengerätehersteller war jahrzehntelang ein fester Begriff. Flora-Frey stellt Sämereien her, die in
vielen deutschen Gärten blühen. Hillers Pfefferminz, heute mit Haribo
(den Gummibären) vereint, sind Süßigkeiten, die zum Gattungsbegriff
wurden wie andernorts Maggi, Persil, Tempotaschentücher oder Tesafilm.
The Twins, die Zwillinge des Zwillingswerks, kennt man überall auf der
Welt. Aber auch Besteckfirmen wie Pott, deren Erzeugnisse in den letzten
Jahren die höchsten Design-Auszeichnungen gewonnen haben, zeigen, dass
auch im traditionellen Gewerbe Solingen nicht nur vom Ruf der
Vergangenheit lebt.
Solingen beherbergt die einzige Süßwarenfachschule Deutschlands,
den Verband der Graveure, hat die größte und bedeutendste Sammlung
entsprechender Erzeugnisse im Deutschen Klingenmuseum, eine der ältesten
deutschen, noch heute einwandfrei funktionierenden Talsperren mit einer
kühnen Sperrmauer (die erste und auch noch heute im Betrieb befindliche
ist die Nachbartalsperre in Remscheid).
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Solingen-Gräfrath |
Handrücken
Solingen hat geographisch
gesehen die Form einer Hand mit gespreizten Fingern. Entlang fünf
Höhenrücken, langgezogen zur Rheinebene abfallend, sind sowohl die Berge
als auch die Täler besiedelt, gibt es keine Präferenzen. Nur die
historischen Strassen verlaufen auf den Rücken, nicht in den Tälern. Doch
ungezählte Querverbindungen, kleinste Zufahrten zu fremden verwirrenden
Ortschaften, nirgendwo für Orientierung sorgend (es geht immer bergauf
und bergab, egal, woher man kommt, wohin man will), führen zu jener
Orientierungsschwierigkeit, die auswärtigen Autofahrern Solingen wie
ein Labyrinth erscheinen lassen.
Ach ja, eine allumfassende
Verbindung allerdings gibt es. Rund um Solingen führt ein Wanderweg, der
Klingenpfad. 75 km ist er lang, er beschreibt die Größe der Stadt, führt
durch stille Ecken und vorbei an historischen Stätten, lässt Wanderer
Solingen von seiner angenehmen Seite sehen. Da gibt es Abschnitte voller
Einsamkeit inmitten herrlicher Wälder oder nicht nur im Frühling
lieblicher Wiesentäler.
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Solingen-Widdert |
Gemengelage
Die Fabriken stehen mitten
in der Stadt, nur spät erst richtete man ausschließliche Gewerbegebiete
ein. Das entspricht der jahrhundertealten Auffassung vom Arbeiten, denn
Arbeit ist und bleibt ein natürlicher Bestandteil des Lebens - warum
sollte er räumlich von der Wohnung allzusehr getrennt sein? Nie hat sich
ein Zentrum mit magnetischer Wirkung auf andere Geschäfte gebildet, und
obwohl in den 50er Jahren als eine der ersten bundesdeutschen
innerstädtischen Einkaufszonen eher zufällig konzipiert, hat die
Solinger City nie aufgehört, mittelständisch zu sein und zu wirken. Wer
einkaufen will, muss heute oft lange Wege zum nächsten Laden zurücklegen
und schon alleine deswegen zwangsweise das Auto als Einkaufswagen
benutzen.
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Höhscheider Friedhof |
Alles in allem: man darf mehr als zufrieden sein
Sehen
Sie Solingen immer mit offenen und staunenden Augen, erfreuen Sie sich am
Reiz ihrer Kontraste, akzeptieren Sie die Monotonie oder Banalität
mancher Straßenzüge, genießen Sie die optischen Reize beim Wandern durch
Gärten und Auen, durch die herrlichen Wälder oder entlang der Wupper.
Aber wenn Sie Solingen wirklich verinnerlichen wollen, dann nehmen Sie
die Solinger so, wie sie sind. Denn sie sind, wie die Stadt im Laufe der
Jahrhunderte geworden ist: Im Wollen um das Beste kam ein Kompromiss
zustande, in dem und mit dem man leben kann.
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Solingen-Burg, Schloss Burg |
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