Solingen aus der Vogelperspektive. Bildlich wie textlich.

 

 

 

1996 kam dieses Buch auf den Markt, das in Restauflagen noch heute zu haben ist. Die Bilder stammen vom Fotografen Corneel Vogt, der an einem Augusttag 96 sich einige Stunden durch den Luftraum Solingens fliegen ließ. Die Texte dazu habe ich geschrieben, einige davon sind hier wiedergegeben.

Voigt/Wenke: SOLINGEN Die Klingenstadt aus der Vogelperspektive
Verlag Gronenberg
ISBN 3-88265-201-2

Solingen – oder die Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen

Aus der Luft wird offenbar, was auswärtige Autofahrer am Boden schon immer ahnten: Solingen ist keine einheitliche Stadt. Solingen ist ohne Megazentrum und Solingen verwirrt durch seine Ähnlichkeit von Orten, Strassen und Wechsel der Straßenrichtungen. Da ist auch kein Dom, keine Stadtmauer, keine Ringstrasse, kein auf den ersten Blick erkennbares Zentrum. Und wenn man doch der Wegbeschilderung zu diesem Zentrum folgt, ist man schneller wieder raus, als man bemerkt hat, überhaupt dort gewesen zu sein.

Was wunder, denn Solingen in seiner heutigen Form als Großstadt mit fast 170.000 Einwohnern ist das Ergebnis von Verwaltungsreformen. Ende der neunzehnhundertzwanziger Jahre beschloss die damalige deutsche Reichsregierung, kleinere Städte, Dörfer und Gemeinden zu größeren Verwaltungseinheiten zu­sammenzuschließen . Konzentrationsprozess, Zentralisierung würde man es heute nennen.

Die drei bergischen Nachbarstädte Solingen, Remscheid und Wuppertal - übrigens bis heute eher neben- denn miteinander lebend - sind auch so entstanden, inklusive des Namens-Kunstgebildes Wuppertal. Viel älter dagegen sind die fünf wesentlichen ehemals selbständigen Gemeinden Gräfrath, Höhscheid, Wald, Ohligs und Solingen, das übrigens schon 1374, also vor weit über 600 Jahren, Stadtrechte verliehen bekam.

 

Solingen-Innenstadt

Wechselnde Bedeutung

Landkarten der früheren Jahrhunderte vermerken für das Bergische Land, zu dem Solingen gehört, in er­ster Linie Namen, die heute nur noch Ortsteile sind. Manche scheinbar bedeutungslos. Lennep, Ortsteil der heutigen Großstadt Remscheid ist ein solcher Ort, Barmen im heutigen Wuppertal auch, früher weit über die Landesgrenzen bekannt.

Und Gräfrath, immer mehr lebenslustiges gastronomisches Zentrum von Solingen, ehemals noch Grafenrode oder Greverode geschrieben, durch sein bedeutendes Kloster auch. Es ist nicht möglich zu definieren, wo das historische Zentrum von Solingen liegt, welcher heutige Ortsteil die wichtigste historische Rolle spielt. Gräfrath, die alte Klostergründung, Wald, lange Zeiten als Kirchspiel mächtig und bedeutend, Burg, das Schloss der Grafen von Berg.

Es kommt darauf an, was man als den Kern des Ursprungs ansehen will. Sind es die frühen historischen Siedlungen, sind es die späteren wirtschaftlichen Blütezeiten? Das Stadtgebiet des heutigen Solingen hat in unterschiedlichen Epochen unterschiedliche Entwicklungen erlebt. Der Zusammenschluss zu einer Großstadt hat daraus ein Stadtgebilde entstehen lassen, dessen Wesen zu erschließen reizvoll und schwierig zugleich ist.

 

Wald, Ittertal

Was ist schon Solingen?

Solingen schätzen oder sogar lieben zu lernen, hat ohnehin nichts mit seinem Charakter als gebaute Stadt zu tun. Ganz im Gegenteil. Was das Eigenverständnis der Solinger über ihr Solingen auszeichnet ist der gleichzeitig vorhandene Stolz auf den Namen von Weltruf - sogar ein eigenes Gesetz über den Schutz des Namens Solingen gibt es! - und der Drang, seine Heimat nicht pauschal einfach nur Solingen zu nennen, sondern alle paar hundert Meter mit einer anderen Hofschaft oder sonstigen Lagebezeichnung.

Der Solingen gibt es viele, und man nennt sie noch heute so, wie sie schon vor hunderten von Jahren mit histori­schem Ortsnamen geheißen haben. Die Winkel und Höfe, die Dörfer und Täler, die Höhenrücken und Fabrikationsorte, die Hofschaften, die Sprenkel, die kleinen, überschaubaren Ortskerne. Bald 150 Namen und mehr zählt zusammen, wer den Stadtplan der heutigen Großstadt Solingen nach Ortsbe­zeichnungen durchsucht.

Und jede in diesem Namensbereich lebende Gemeinschaft - fast jede - hält sich für den Mittelpunkt, das wahre, das eigentliche, das so verbliebene, das lie­benswerte, das Heimat-Solingen. Wer in Nümmen lebt, beispielsweise, ist Nümmener, nicht Solinger.

 

Solingen-Ohligs

Mal so. Mal so.

Das Gebiet der Stadt Solingen ist ein klassisches sowohl-als-auch-Land. Geographisch gesehen: Es ist hügelig, bergisch, bewaldet, aber es ist auch flach und Heide (in Ohligs). Es ist Industriestadt, aber es ist auch Bauernland - immer noch. Es ist von rheinischem Gemüt, aber von an sprichwörtliche westfälische Dickköpfigkeit erinnernde Egozentrik. Es ist voller Widersprüche.

Der Solinger Hauptbahnhof liegt an einer Nebenstrecke,  Solingen-Ohligs dagegen ist rege frequentierter Haltepunkt  mit unmittelbarem Direktanschluss zum Düsseldorfer Flughafen. Der kleine Ortsteil Central liegt keineswegs zentral. Eine Stadtautobahn, bequem und breit, endet nördlich und südlich mitten im Stadtgebiet auf schmalen Zufahrtsstraßen bzw. Stadtstrassen - wahrscheinlich Deutschlands einzige Schnellstrasse mit dem einzigen Ziel, vor Ampeln zu warten. Seit Jahrzehnten führte die Abfahrt Solingen der Autobahn Düsseldorf—Wuppertal über eine Zufahrtsstrasse, die allenfalls den Namen Feldweg verdient, wenngleich sie jetzt auch durch eine kleine .richtige' Zufahrt ersetzt. Mit der Schwesternstrasse (weit entfernt von der Brüderstrasse) ergibt sich ein guinnessbuch-reifer Rekord: Die Strasse ist breiter als lang. Solingen ist voller Merkwürdigkeiten und Widersprüche. Aber eben das ist das Liebenswerte dieser Stadt.

 

Solingen-Schlagbaum

homo solagensus

Die typischen Solinger sind Menschen mit ausgeprägtem Eigensinn, murrend und eigenbrötlerisch, aber nichts ist ihnen wichtiger als der Verein, und wer auf sich hält, ist gleich in mehreren davon. Ein Solinger Verein, der sich selbst ernst nimmt, feiert mindestens einmal im Jahr ein öffentliches Sommerfest, weswegen an manchen Sommerwochenenden das Fröhlichsein zum Stress wird. Allerdings sagen alle wie aus einem Munde: In Solingen ist nie etwas los!

In Solingen gibt es Vereine mit merkwürdiger Sitte und Tradition. (Tote) Hähne oder gar Schwäne werden geköpft, von Menschen, denen man mit Augenbinden und einem Schnäpschen in Ehren die Orientierung zu nehmen versucht hat. Oder Pöhlschenscheeten, eine Mischung aus Outdoor-Kegeln und bergischer Boccia-Variante. Solingen ist eine grüne Stadt, weshalb ungezählte Vereine für Kleingärten dafür sorgen, dass es auch so bleibt. Und: Solingen schuf mit dem Zöppkesmarkt einst den größten deutschen Straßentrödelmarkt.

 

Botanischer Garten

Hin und wieder ist dieser Bildband auch mal bei ebay zu finden.

Wollen Sie es mal versuchen?