29. Mai 1993 |
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Auf eine sehr traurige Art und Weise ist Solingen zu einem festen Bestandteil deutscher Nachkriegsgeschichte geworden: Das verbrannte Haus der Familie Genc wurde zum Bild-Symbol eines eskalierenden Fremdenhasses und schürt noch heute nationale, religiöse und ethnische Emotionen. Doch es gibt auch sehr Positives - bei allem Leid, das nicht wieder gutzumachen ist - zu berichten: eher im Stillen haben sich viele Zeichen und Aktionen der Solidarität und der Verständigung gebildet und geholfen, mit dem Schmerz fertig zu werden. Solingen ist eine Stadt mit einem nicht einmal sehr hohen Anteil ausländischer Mitbürger - und bis dato (und danach) gab und gibt es keine in der Öffentlichkeit wahrgenommenen extremen Spannungen. Um so tiefer saß der Schock des Pfingstsonntages 1993.
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Eigene Bilder und Berichte von den Unruhen in Solingen Medien-Bilder und Berichte von den Unruhen in Solingen.
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"Sozialgeschichte - Bilder und Dokumente" |
"Alle Profite dieser CD werden zur Unterstützung der Opfer von faschistischen und rassistischen Überfällen verwendet", sagt der Werbetext oben rechts und die Anarchist Academy titelt: "Solingen ... willkommen im Jahr IV nach der Wiedervereinigung". Der Brandanschlag vom Pfingst |
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Von geradezu beschämender Banalität ist dieses Blechschild, das am Ort des Mordes hängt. Das abgebrannte Haus ist längst abgerissen, die Opferfamilie Genc hat 5 Bäume als Gedenken an die 5 ums Leben gekommenen Familienmitglieder gepflanzt.
Jemand hat, im Winter 202/3, ein rotes Band der Solidarität an den Zaun geknüpft - und das Symbol sagt: es ist frostig geworden in dieser Zeit. |
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Fotos: Kerstin Ehmke-Putsch |
Sehr verantwortlich gehen inzwischen die meisten Journalisten mit dem Thema um - im Gegensatz zum Tag und den Tagen nach des Brandmordes. Da erlebte Deutschland zum ersten Mal in dieser Massivität Live-Fernsehen "direkt im Zentrum der Katastrophe" - die abschüssige Schweizer Straße, die genau auf das Haus der Opfer zuführt, war zugeparkt mit Live-Übertragungswagen der Sender. Ein Tross an Reportern aus aller Welt, wie es Solingen ohnehin noch nie erlebt hatte, wurde aufgeboten, um die hässliche Fratze der Deutschen in allen Facetten zu schildern. Solingen als "braune Stadt" zu bezeichnen wurde Standardjargon, jeder, der einmal rechts von der CDU gewählt hatte, als brandmordender Altnazi verdächtigt. Man wollte geheime Nazi-Zellen ausgemacht haben und Nachbarn des Tatorts wurden zu jeder peinlichen Kleinigkeit gefragt. Die politische Stimmung gab die Vorverurteilung vor: Auf Türken können nur Nazis Hass und Wut haben. Was Richter heute selbst in Fernseh-Talkshows zugeben (Dr. Ruth Herz am 6. Juni 03 in der Talkshow "Johannes B. Kerner") wurde Realität: Es musste ein schlüssiges Tatmotiv namens Fremdenhass her, egal, wie sehr die Fakten und Beweise darunter zu leiden hatten.
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Foto: Solinger Tageblatt, Christian Beier, Ausgabe vom 27. 5. 2003 |
Was in der Brandnacht geschah, ist unfassbar. Was danach geschah, auch. In, wie es oftmals impulsiv erschien, blinder Wut und ausufernder Aggressivität entluden sich Emotionen, Ängste, mentale Komplexe. Auf türkischer Seite weitaus stärker als auf deutscher. Denn aus deutscher Sicht lähmte eher die Betroffenheit. Doch es schien, Türken stilisierten das Verbrechen zu zwingenden Logik hoch: es musste so kommen. Worte wie "Deutschland ist kein Einwanderungsland" und das immer wieder betonte Gefühl, Bürger zweiter Klasse, kaum geduldet, abgewertet zu sein, schlug in lautstarke Wut um. Die Tatsache, dass sehr viele Türken in Deutschland, auch in Solingen, leben, hier inzwischen sich moralisch zu Hause fühlen, und andererseits die Gesetze sie zu allenfalls Geduldeten machen, dazu noch die wortwörtlich andere Gedanken- und Gefühlswelten zwischen der Türkei und Deutschland prallten ungebremst aufeinander. Und so ging es kaum noch um den Anlass, den Brandanschlag selbst, sondern um seinen Symbolcharakter. Zum ersten Mal in der deutschen Mediengeschichte wurde nicht die Tat, sondern die Folgen der Tat zum eigentlichen Akt der politischen Auseinandersetzung.
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Metin Gür
"Wir wenden uns heute, einen Tag nach dem Urteil, an alle jungen Leute in
Deutschland und in der Türkei ... Fadime und Bekir Genç |
Solinger Tageblatt vom 27. 5. 2003 Von Hans Peter Meurer (Hans-Peter Meurer hat etliche, tiefgründig um Objektivität bemühte und insofern richtungweisende Artikel und Publikationen über die Geschehnisse und den Prozess geschrieben.) |
Gedenken gegen das Vergessen |
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Der Spiegel Nr 22 / 26.5.2003 weicht für die Rückschau von seinem gewohnten Layout ab und präsentiert im Panorama-Format ein Bild mit Symbolcharakter: die Lücke, die die längst abgerissene Brandruine hinterlassen hat. |
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Link auf die Originalseiten (Solingen-Online ist nicht verantwortlich für den Inhalt anderer Domains)
HATICE AKYÜN, ALEXANDER SMOLTCZYK im Spiegel Nr 22 / 26.5.2003 Mit bemerkenswerter Sachlichkeit - eine Ausnahme im ansonsten eher auf Sensationsmache getrimmten Medienrummel - haben die beiden Autoren zu dokumentieren und damit daran zu erinnern versucht, was 10 Jahre zuvor in Solingen geschah. Sie zeichnen dabei ein differenziertes Bild mit Aspekten, die auf der Waage zwischen journalistischer Distanz und engagierter Reportage liegen und daher Sachlichkeit mit Emotionen verbindet. Ein lesenswerter Artikel: |
AUSLÄNDERFEINDLICHKEIT HATICE AKYÜN, ALEXANDER SMOLTCZYK
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11 Jahre danach: vergessen und allenfalls vermarktet. Mit den Fakten muss es keiner mehr genau werden, das Haus einer normalen Familie wird zum Asylantenheim ... ! Geschichte, nichts gelernt. |
Originaltext: « Bei diesem Artikel handelt es sich um die signierte Originaloffsetlithographie „Hitler in Solingen“ des Künstlers Werner Horvath, die das von Neonazis mutwillig angezündete Asylantenheim in Solingen zeigt. »
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Dass die Brandstiftung durch nichts zu rechtfertigen, die durch sie verursachten fünf Tode durch nichts zu entschuldigen sind, kann man nicht oft genug wiederholen. Dass die Journalisten 1993 in Solingen begonnen haben, die Grenzen der Objektivität weit hinter sich zu lassen, muss man ständig wiederholen. Es war, als gelte plötzlich dieses: "Unterstütze keinem Mythos, den Du nicht selbst erfunden hast. Schreibe keinen Artikel und sende keinen Bericht, der nicht polemisiert. Texte keine Headlines, die nicht emotionalisieren." Das ist das Fazit der medialen Analyse mehr als 10 Jahre nach den Ereignissen.
Kein Trick zu billig, keine Lüge zu subtil, keine schlampige Recherche zu schade, keine Polemik zu schäbig: Ungezählte Journalisten bogen sich die Wirklichkeit so hin, dass sie zum Kommentar und zur Intention der agitativen Polemik passten. Und da der Trick, ganz Solingen und seine Bevölkerung als braun, untätig, dumm und gleichgültig, spießbürgerlich und abwiegend hinzustellen hervorragend funktionierte (Versuch verbaler Objektivität und Sachlichkit wurden sofort als Parteinahme zur Entschuldigung von Unrecht gedeutet), konnte man seiner eigenen geistigen Ohnmacht als Journalist freien Lauf lassen, indem man schrieb, was Wut machen musste, ohne dass es der Wahrheit entsprochen, der Verständigung gedient und der Tragik des Geschehens auch nur einen Ansatz von würdiger Trauer verliehen hätte.
Ach, lieber Herr Goethe, manchmal geht auch mit
Ihnen die naive Romantik durch .... |
Herausgeber: Tageszeitungsverlagsgesellschaft "dietaz" mbH, Frankfurt a.M., 1993 Tatsache ist, dass nur ein verschwindender Bruchteil der schreibenden und sendenden Journalisten auf die wirklichen Ursachen der Katastrophe eingingen. Sowohl der Tatablauf, die Motive der Täter als auch die Frage, wie man solch eine tragische Verkettung, die zur Tat führte, im Einzelfall bei Jugendlichen in Zukunft vermeiden kann, wurden jemals in Breite und Tiefe in den Medien behandelt. Solche Themen verschwanden, wenn es sie dann überhaupt gab, allenfalls in Fachforen und -Publikationen. Sender und Journale walzten einen Populismus aus, der in Phrasendrescherei endete und damit der persönlichen Tragödie, die hier eine Familie erleiden musste, kaum und nur viel zu selten auf menschliche Art und Weise gerecht wurde. Bedauern und Beklagen, das gab es reichlich. Eine nachhaltige Bewusstseinsveränderung, aus dem Geschehen zu lernen, um ähnliches in Zukunft zu verhindern, gab es nicht. Und so zeigen ähnliche Katastrophen in den Folgejahren (vor allem Schießereien in Schulen), dass Gewalt und Hass ein Problem bleiben, dass sich immer wieder Bahn bricht.
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Dass in Solingen aufgrund des schockierenden Brandes Menschen emotional - aus Angst, aus Wut, aus Trauer, aus Betroffenheit, aus Hilflosigkeit, aus Entsetzen - "ausrasteten", dass sich alle Emotionen auf der Straße entluden, ist eine Reaktion, die man nicht erst weiter analysieren muss, um sie zu verstehen. Dass aber Journalisten und Sender, Zeitschriften und Redaktionen, die sich bis dato eher als objektive Medien verstanden hatten, ausgerechnet bei diesem Ereignis zu agierenden subjektiven Demagogen wurden, ist vielleicht nur ein Zufall, weil der Zeitpunkt gekommen war, dass sich Medien aus ihrer Rolle als Mittler lösen wollten und mussten. Weil sie in eine Konkurrenz traten, die bis dato unbekannt, zumindestens kein offizielles Thema war: der Kampf um Einschaltquoten und Auflagenhöhen. Und mit "Solingen" ließ sich trefflich Quote machen. Mit diesem Thema, so pervers es auch klingt, konnte man sich profilieren. Und tat dies, wo und wie immer es ging.
Ein Tabu zwar, aber dennoch Fakt: Morde an "Fremden" geschehen keineswegs nur in Deutschland. Ob in den USA oder der Türkei, in Afrika oder Asien, Südamerika oder dem sog. ehemaligen "Ostblock": Menschen anderen Glaubens, anderer Herkunft, anderer Hautfarbe, sind immer und immer wieder Opfer von Raub, Gewalt, Mord, Vergewaltigung, Entführung, Erpressung. Dass es sich biologisch und damit verhaltensbedingt erklären lässt, ignoriert man mit dem völlig absurden Hinweis, auf Grund einer erklärten "Zivilisationsstufe" sei der Mensch nicht mehr berechtigt, dem Unterbewusstsein und intuitiven Impulsen zu folgen. Natürlich ist Mord, natürlich sind Verbrechen zu verbieten und zu bestrafen. Aber dass sie geschehen, ist damit noch lange nicht verhindert. Ob sie überhaupt verhindert werden können, darüber wird nicht diskutiert. Aus Angst, es könne der Eindruck entstehen, man entschuldige und rechtfertige sie sogar.
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Wider das Vergessen: Denkmal vor der Mildred-Scheel-Schule in Merscheid. Besucher, vor allem prominente, lassen jeweils einen Ring einschweißen, damit die Mauer gegen die braune Ideologie immer höher wächst. Foto: hgw |
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Etliche Aktionen in Solingen haben sich unmittelbar nach der Katastrophe mit Gewalt und der im allgemeinen sprachlich hilflos so genannten "Ausländerfrage" befasst. Hier eines der vielen sehr positiven Beispiele. |
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