Müngstener Brücke 4

Die Brücke wird oft als Meisterwerk gepriesen. Viel mehr aber sollte man die Erbauer loben. Denn ob Ingenieur am Zeichenbrett, Statiker mit endlosen Zahlenkolonnen, Bauarbeiter vor Ort - sie alle haben geleistet, was vor ihnen noch keiner fertig gebracht hatte. Allenfalls der Pariser Eiffelturm, für die Weltausstellung 1889 gebaut, gab eine ungefähre Vorstellung von dem, was Eisen-Fachwerk aushalten und leisten kann - genau richtig gewissermaßen für das Bergische Land mit seinen Fachwerkhäusern, die von erstaunlicher konstruktiver Robustheit sind. Die Brücke hat nun auch schon über 100 Jahre auf dem Buckel, ohne auch nur einen Tag unbrauchbar gewesen zu sein.

 

Wir und von wem wurde die Brücke gebaut? Die Gedenktafel nennt nur Namen, sagt aber wenig über die Dramatik aus, die mit dem Bau verbunden ist. Denn schließlich gab es vor der Müngstener Thalbrücke ein solches Bauwerk noch nicht. Höhe und Weite, das Filigran des Stahl-Fachwerks wurden bei dieser Brücke in eine neue Dimension geführt.

 

Wenn es gerecht zugehen soll auf dieser Welt, dann müsste der Pariser Eiffelturm eigentlich "Marsfeld-Turm" (Tour champ de mars) heißen, dort steht er nämlich, oder die Müngstener Brücke muss in Rieppel-Brücke umbenannt werden. So heißt nämlich der Chefkonstrukteur, Anton Rieppel, der Lebenszeit und Leidenschaft für "statisch unbestimmte Systeme" durchaus mit Gustave Eiffel (1832-1923) teilt (Rieppel 1852 in Hopfen/Oberpfalz geboren). Rieppel war erst Leiter des Konstruktionsbüros, dann alleinige Vorstand der Maschinenbau A.G. Nürnberg (MAN). Nach langer, schwerer Krankheit verstarb er 1926. Der Bau der Müngstener Brücke hat ihm hohe Ehrungen eingebracht.


 

Alle nachfolgenden Schwarzweiß-Bilder und Informationen über den Bau aus:
"Die Eisenbahnbrücke über die Wupper bei Müngsten 1893-1897"
Arbeitsheft 5 Technische Denkmäler
Landeskonservator Rheinland
Text Ernst Werner
Rheinland-Verlag Köln 1975
Druck: Weiss-Druck Monschau
 

Dass die Müngstener Brücke so aussieht, wie sie aussieht, ist zwar kein direkter Zufall, aber das Ergebnis eines Auswahlverfahrens und umfangreicher Berechnungen. Andere Konstruktionen standen durchaus zur Debatte. Oben die gebaute Form, darunter zwei Alternativen. Hässlich, oder?

 

Für ein "gewaltiges Bauwerk" liegt die Brücke fast filigran in die Landschaft eingebettet, weil die Stützen eben "luftig" sind, bekommt sie niemals eine optische Übermacht.

 

Die Entwurfsarbeiten setzten eigentlich schon 1891 ein, als die Eisenbahndirektion Elberfeld vier Firmen zu Vorschlägen aufforderte. Bezüglich der Kräfte wurde vorgeschrieben, dass die Brücke einem Winddruck von 250 kg/qm standhalten und einen Güterzug mit drei Lokomotiven und beliebig vielen Wagen tragen muss; Achslast bei der Lok 8,5 t, Tender und Wagen jeweils mit ca. 6 t. Als Material war basisches Flusseisen vorgeschrieben mit ca- 40 kg/mm Zugfestigkeit und 20 % Bruchdehnung, vergleichbar heute mit Baustahl der Sorte St 37.

 

 

Bilder, die zur Genüge bekannt sind: die mutigen Helden beim Bau der Wolkenkrater in New York, die ohne Absicherung in Schwindel erregender Höhe auf weit ausladenden Trägern sitzen und fröhlich mit Werkzeugen in luftiger Höhe hantieren. Die Pausenmannschaft hat es zu einem Symbolbild gebracht, das einem des öfteren begegnet. Schade eigentlich, dass die Fotografien der Müngstener Brücke und ihrer mutigen Männer nicht vermarktet wurden. Denn die waren nicht weniger schwindelfrei - oder leichtsinnig, je nachdem, wie man es betrachten will.

 

 

 

 

Hier turnen sie wie die Fliegen im Gebüsch auf den Pfeilern, Streben, Stützen, Balken und Montagehilfen herum, klettern bis auf die Spitze des Drehkranes und tun so, als sei Höhe von absoluter Ungefährlichkeit. Bleibt selbst im Nachhinein noch zu hoffen, dass nur an windstillen Tagen gebaut wurde. Es gibt offensichtlich keine gesicherten Berichte über die Anzahl (tödlich) verunglückter Arbeiter, kolportiert wird immer wieder die Zahl 6.

 

Übrigens war der einzige Solinger Lieferant die Firma R. u. W. Küllenberg, die 640 t Kalk lieferte. 5.290 t Sand kamen aus Schlehbusch, geliefert von der Firma Linnert in Elberfeld, 595 t Zement stellte die Königl. Eisenbahndirektion selbst.

 

Also, mein lieber Herr Gesangsverein, wie man in Solingen zu sagen pflegt, so hätte ich mich NICHT für's Foto aufgestellt.

 

Irgendwie habe ich dieses Bild doch schon einmal gesehen, aber wo? Zirkus Krone? Chinesischer Nationalzirkus? Raumschiff Enterprise?

 

Bis zur Fertigstellung hatte man insgesamt verbraucht:
Flußeisen 4.734 t
Gußeisen 125 t
Geschmiedeter Gußstahl 79 t
Martinstahl 36 t
Blei 0,1 t
Schrauben 1,1 t
Schmiedeeisen 3,2 t
Es entfallen auf
den Bogen 2.111 t
die Gerüstpfeiler 1.110 t
die Gerüstbrücke 634 t
die Fahrbahn 991 t
den Besichtungswagen 98 t
Gesamt 4.944 t

Das Bild zeigt aus dieser Schrägaufsicht sehr schön die Behelfsbrücke, von der aus Montageteile mit den Kränen angehoben wurden und die beide Talhänge verband. Das Material wurde z. T. an die Fundamente und die Baubrücke auf Schienen herangefahren. Sämtliche Brückenteile waren vorher bei MAN zur Probe zusammengesetzt und dann wieder demontiert worden.

 

Eigentlich ist die Brücke nach simplen Prinzipien gebaut. Die Schwierigkeit beim Bau war, dass man es mit vielen unbekannten oder sich gegenseitig beeinflussenden Parametern zu tun hatte. Da es keine Computer gab, die unbegrenzt viele Alternativen in wahnsinnig kurzer Zeit durchrechnen konnten, war man auf die ingeniöse Intuition der Konstrukteure angewiesen - ebenso wie seinerzeit beim Bau der Schwebebahn. Völlig in Vergessenheit geraten ist, dass es ebenfalls Anton Rieppel war, der das Trägergerüst der Wuppertaler Schwebebahn entwarf (sog. Rieppel-Pfeiler). Die Bauausführung, Planung und Finanzierung geschah durch Commerzienrat Carl Eugen Lang. Der Bau der Schwebebahn wurde 1898 begonnen, also unmittelbar im Anschluss an die Fertigstellung der Müngstener Brücke. Typisch bergisch, obwohl die beiden Bauwerke nur den symbolischen Steinwurf auseinanderliegen (weniger als. 1/4 Stunde mit dem Auto), sind sich die Städte so fremd, als wäre die Wupper breit wie eine riesige See.

 

 

In nur 3 Jahren Bauzeit war das "Wunder der Technik" fertig, heute steht es unter Denkmalschutz. Solche Urkunden wurden allen übergeben, die am Bau der Brücke und dem Richtfest beteiligt waren. Kaufen konnte man sich nichts dafür, aber stolz sein, das immerhin.

 

Wie würde eigentlich die Brücke heute gebaut? Fahren Sie mit der Maus über das Bild und sie wissen es.

 

 

Die Müngstener ist Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke; die Kochertalbrücke Deutschlands größte Auto(bahn)brücke. Sie trägt die A 6 Heilbronn—Nürnberg und liegt zwischen den Städtchen Schwäbisch Hall und Langenburg beim Ort Untermünkheim.

Die Pfeiler sind zwischen 40 und 178 m hoch, die Gesamtlänge beträgt 1128 Meter, die Höhe über Talgrund 185 m (MüBrü Gesamthöhe 108 m), gebaut wurde sie 1979