Retro-Flair

Trübgraue Regentage gibt es in dieser Stadt genug, obwohl die Statistik beweist, es regnet hier sogar gemessen am nordrhein-Westfälischem Durchschnitt weniger als woanders. Egal, um so mehr erfreut die Sonne, zumal die kräftige, weil "schräge" Herstsonne das Auge mit immer neuen Lichtszenarien.

Rundgang 2: Das südöstliche Solingen, Fortsetzung

 

Dieser Bau ist nicht schön, aber schon alt und markant und als Kino und Kneipe seit Generationen eine "Vergnügungsstätte".

 

Ein Stück erhaltenes Kaiserreich im Original: das Kriegerdenkmal am Volksgarten (Krahenhöhe). Auf dieser Stele, gekrönt vom Reichsadler, gedenkt die ehemalige selbständige Stadt Dorp den Gefallenen der Kriege 1860, 1864 und 1870/71, auch als "Leipzig/einundleipzig" in der Erinnerung.

 

Krallt sich der deutsche Adler die Weltkugel oder verteidigt er den Kaiserapfel, das Symbol der Herrschaft über das Land? Wer weiß. Trotz kecken Flügelschlages hält es den Greifen seit weit über hundert Jahren hier am Ort.

 

Bäume als Denkmäler: hier im Volksgarten stehen einige der ältesten Solinger Baumriesen.

 

Im Herbst Tradition, immer schon: Laub fegen. Wer auch nur noch ein Blättlein liegen lässt, wird von Nachbarn schief angesehen.

 

Solinger Wohnkultur: Ein Haus, das für eine Familie schon zu klein erscheint, kann derer zwei vertragen, Tür an Tür.

 

Doppelhäuser sind das Normale. Und damit man sich nicht in die Quere kommt, ist man weniger durch schallisoliert Wände als vielmehr durch die eigene Eingangstür - sie ist heilig - getrennt.

 

Sieht schulstreng aus und ist auch eine solche: die alte Meigener Schule. Hier ist der Born des ältesten deutschen noch existierenden Männerchores, der schon vor über 200 Jahren hier probte und zu feiern wusste. Ein Chor, der Goethe hätte ein Ständchen bringen können!

 

Wo viel Licht ist, ist viel Schatten, aber in Solingen ist mehr Schatten als Licht. Nicht wundern, hier ist eben alles anders. Und in den Schatten verkriechen sich gerne die Häuser, dunkelverschiefert, unauffällig.

 

Und wieder einmal weisen die Kirchtürme den Weg. So wie vor hunderten von Jahren.

 

Ein Jahrhundert alte Bürgerhäuser mit der damaligen Zeit entsprechenden schmucken Fassaden sieht man buchstäblich zu tausenden noch in dieser Stadt.

 

Aber auch manche gut acht Jahrzehnte alte eher schmucklose  Häuser und Häuserzeilen vor allem des Spar- und Bauvereins, die seinerzeit eine gelungene Symbiose zwischen preiswert und praktisch, komfort- und raumbietend waren. Und es - mit Modernisierung - immer noch sind. Die immer gut an ihrem Eigenstil erkennbaren Häuser sind an vielen Straßen längst museal-erhaltenswertes Stadtbild geworden.

 

Die Solinger mögen viel und Erstaunliches können, eins aber konnten sie noch nie und haben sie bis heute nicht gelernt: breite Straßen zu bauen. Selbst als es noch nur Pferdefuhrwerke gab, waren sie eigentlich schon zu schmal, und eingedenk des Anspruchs eines jeden, vor der Haustüre zu parken, werden sie zum Schikanenparcours, der eigentlich weltmeisterschaftliches Können erfordert.

 

Wenn das Licht es will, werden selbst Bürgerhäuser zu kleinen Schlössern und trutzigen Burgen.

 

Doch eben wegen der Enge der Straßen nimmt man nur allzu selten wahr, welche wirkliche und wahre Schönheit viele der Fassaden zu bieten haben.

 

Hingegen ist so manches Haus durchaus in die Jahre gekommen und kaschiert sich geschickt hinter gnädigem Grün. Aber ein jedes dieser Häuser, die heute noch zu tausenden im Stadtbild erhalten ist, erfreut sich liebevoller oder angemessener Pflege, nur ganz wenige sind eher dem Verfall preisgegeben. Es ist eben der Widerspruch von modernen Wohnansprüchen und Begrenzungen des Um- und Anbaus, die solche oft im Kern zwei, drei Jahrhunderte alte Häuser auferlegen. Doch gut, dass es sie noch so gibt, dieses hier hat man auch vor hundert und mehr Jahren fast original so sehen können.

 

Was restauriert und "verschönert" wurde, strahlt immer weiter den einstigen Glanz aus. Denkmalpflege im Privaten ist in Solingen keine Theorie, sondern eine Selbstverständlichkeit. Auch diese Fassade könnte jeder, dessen Gebeine nebenan auf dem Gottesacker liegen, auf Anhieb wiedererkennen.

 

Die Eingangstüre als das Schmuckstück des Hauses, das ist echt typisch bergische, Solinger Architektur, das Charakteristikum der Bürgerhäuser.